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Kultur: Erstaunlich moderner Blaustrumpf

Neue Biografie über Friedrich den Großen von Johannes Kunisch

Geschichte stellt an die Historiographen aller Zeiten fast immer unerfüllbare Ansprüche: Wie geht man mit ihren Konkreta um, wie hält man sie möglichst gültig fest? Auch für den emeritierten Historiker Johannes Kunisch stellten sich diese Fragen, als er die erste Biographie über Friedrich II. jenseits „ideologischer Vereinnahmungen“ zu schreiben begann. Er teilt zwar die Meinung Johann Gustav Droysens, wonach es kein objektives und damit endgültiges Bild der Geschichte gäbe, doch auch er kann auf gewisse „Leitlinien“ in Friedrichs narrativ gefasstem Leben nicht verzichten: Bei ihm das problematische Verhältnis zu seinem Vater Friedrich Wilhelm I. nebst Katte-Motiv, die Schlesien-Kriege und der (bei seiner Grablegung bewusst unterlaufene) Verzicht auf „zeremonielle Selbstdarstellung“.

Gut eingebettet in die Zeit des Ancien Régimes, lässt Kunisch aber auch „das Nichtauflösbare, Nichtexzeptionelle und das Rhapsodisch-Beigefügte“ gelten, um letztlich nach Friedrichs bleibender Größe zu fragen.

Kunisch kam es darauf an, die bereits oft geschilderten Fakten als Funktion eines eigenen Rekonstruktionsprozesses „neu zu strukturieren“. Aber vielleicht können nur Spezialisten die Unterschiede zwischen ideologischer Vereinnahmung und angestrebter Neutralität erkennen. Solange man Sprache verwendet, ist das genauso unmöglich, wie auf Werturteile zu verzichten: Beim Lesen des Kapitels um die Festsetzung und den Prozess, welchen der Soldatenkönig seinem fluchtwilligen Sohn (Macaulay nannte ihn „Blaustrumpf“) 1730 machte, erschien das Bild des tyrannischen Vaters gegen einen musisch veranlagten Sohn, ohne zu sehen, wie sehr Friedrichs absoluter Kotau seiner späteren „Staatsräson“, seinem „hingebungsvollen Dienst“ an Preußen nützte; wie ihm eben dies eine einzigartige Stellung unter den Königshäusern Europas – und auch der Hohenzollern – verschaffte.

Genauso werden seine schlesischen Abenteuer seltsamerweise unter dem Aspekt eines „Rechtsbruchs“ im heutigen Sinne moniert, als ob sich der Krieg je an Vereinbarungen hielte. Der Autor findet Friedrichs „im Bewusstsein uneingeschränkter Omnipotenz“ vollzogene Reformen an Justiz, Staat, Militär sowie die Fähigkeit, sich im Selbst-Diskurs stets Rechenschaft zu geben, „erstaunlich modern“. Er sieht ihn bereits seit 1740 als aufgeklärten Rationalisten „im Dienst von nüchternen und kalkulierbaren Prinzipien“. Hinsichtlich seiner regen Bautätigkeit forderte er „wenigstens ein bisschen Dankbarkeit“ ein. Ohne Zweifel liegt Kunisch nicht nur als Vorsitzendem der „Preußischen Kommission“ an einer Aufwertung von Fridericus, trotz Omnipotenz und „dämonischer“ Polyvalenzen, die Thomas Mann so erschreckten.

Ideologiefrei ist das Buch (so es auch nur die Aufklärung lobte) allerdings nicht, dafür sogar „fritzischen“ Politikern interessant – fünf Auflagen seit 2004 sprechen tatsächlich für sich.Gerold Paul

Johannes Kunisch, „Friedrich der Große. Der König und seine Zeit“, Verlag C. H. Beck, 29.90 Euro

Gerold Paul

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