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Charmant-galant. Gisela May ist bereits zu Lebzeiten eine Legende.

© Manfred Thomas

Von Gerold Paul: Erzählen ist lebendiger!

Die Grand Dame des linken deutschen Theaters, die Schauspielerin Gisela May, war in der Villa Schöningen zu Gast

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Schauspieler scheinen manchmal begnadete Wesen zu sein. Viele werden sehr alt, und werden weise, und bleiben dennoch freundlich, auch wenn sie in ihrer eignen Vergangenheit leben. Am Freitag war die Grand Dame des linken deutschen Theaters, die Schauspielerin, Diseuse und kongeniale Brecht-Interpretin Gisela May in der Villa Schöningen zu Gast. Auch an der Glienicker Brücke bemüht man sich um ein interessantes und abwechslungsreiches „Kulturprogramm“.

Nachdem das Publikum sie gebührend begrüßt hatte, begrüßte sie ihrerseits das Fallen der Mauer mit einer Eloge an die Kulturstadt Potsdam. Aber zuvor gab es den Song von Mackie Messer aus der „Dreigroschen-Oper“, den sie im Playback als Entree vortrug. Eine kleine Frau mit gütigem Lächeln, blitzenden Augen, fester Stimme und entsprechender Haltung.

Hatte man ihr nicht damals schon ein ganzes Paket von Attributen wie „zornig, lustvoll, traumerfüllt, angsttraumbesessen, erregend, laut schreiend und feuerspeiend“ nachgesagt, alles theatralisch verpackt? Das war bei einem ihrer frühen Gastspiele in den USA. Bertolt Brecht blieb ihr Leben, von ihm erzählte sie, ihn sang und rezitierte sie nun, neben Kästner, Tucholsky und anderen, inmitten der großformatigen Schaubilder von Anselm Kiefer zum Thema „Europa“ in dem Haus an der Brücke der Einheit.

Natürlich ging es um die Erinnerungen. „Wort für Wort selbst geschrieben“, wie sie dem Publikum schwor, hat Gisela May sie vor einigen Jahren in ihrem Buch „Es wechseln die Zeiten“ verewigt. Aber vorlesen mochte sie trotzdem nicht: „erzählen ist lebendiger.“ 1924 im hessischen Wetzlar geboren, aufgewachsen in einem linken Künstlerhaushalt „mit besonderer Mutterbindung“, begann ihre Karriere am Ende des Krieges, oder besser danach. Sie sah das brennende Dresden, die heranrückenden Amerikaner von einer Höhe im Böhmerwald aus.

Als sie zu ihrer Mutter heimkehrte, sagte diese nicht „schön, dass Du wieder da bist“, sondern „Kind, bist Du dick geworden!“ Das lag an der Ziegenmilch damals. Von der Welt hat sie gesehen, was da zwischen den USA, Europa und Australien zu sehen war, an Preisen und Ehrungen das Erreichbare bekommen, vom Vaterländischen 1980 in Gold bis zum Bundesverdienstkreuz vor sechs Jahren. Noch heute unterrichtet sie, allerdings „nur fortgeschrittene Schauspieler und Sänger“.

Die Musik zur „Seeräuber-Jenny“ oder der „Dolly“ kam zwar aus der Konserve, aber die berühmte Diseuse summte und sang leise mit, und erzählte voller Temperament von Leuten, die ihr Leben beeinflusst hatten.

Schön, den anderen die Ehre zu geben: Hanns Eisler, welcher ihr Chanson-Talent förderte, indes sie seine Zukünftige „begutachten“ sollte, Regisseur Erich Engel, der so hinreißend vorspielen konnte, dass die Akteure sagten, „spiel es doch selber!“, Helene Weigel, bei der sie sogar das stinkbürgerliche Musical „Hello Dolly“ durchsetzte. Als junge Schauspielerin hatte sie viel mit Brecht am BE zu tun, ein erstes Programm seiner Songs und Gedichte aber führte sie im benachbarten Deutschen Theater auf. Die Berliner „Courage“-Aufführung mit Helene Weigel in den fünfziger Jahren nennt sie noch heute „mein größtes Theater-Erlebnis“.

Es war eine gute, eine charmant-galante Stunde mit einem Weltstar, der längst Legende ist. Gisela May führte ihr Publikum voller Leichtigkeit, erzählte einfach aus ihrem Leben – und ein ganzer Saal voller Fans hörte mit Spannung und Bewunderung zu, ja soufflierte sogar mal ein wenig, wenn ihr Text- und Rezitierfluss zu stocken schien. So ein „Parkett“ hätte Brecht wohl geschätzt. Ihre gemeinsamen Jahre mit Wolfgang Harich blieben zwar außen vor, dafür hörte man ihr geflügeltes Wort „Sag nicht immer Muddie zu mir!“ aus „Adelheid und ihre Mörder“ im Original. Zum Abschied gab man ihr stehend die Ehre, mit Dank.

Gerold Paul

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