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Kultur: Erzwungenes Warten

Erich Loest über seinen Roman „Es geht seinen Gang“

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Erich Loest über seinen Roman „Es geht seinen Gang“ Erich Loest hat keine Eile. Mit 78 Jahren scheint er alle Zeit der Welt zu haben. Als ihm am Mittwochabend nach gut zwei Stunden Lesung und Gespräch in der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt des MfS in der Lindenstraße niemand die obligatorisch-letzte Frage stellte, tat er es einfach selbst. Woran „der Meister“ denn gerade arbeite? An einem Roman über den 17. Juni 1953. Mit der Fertigstellung, da sei er sich noch nicht so ganz sicher. Vielleicht zur Buchmesse im Herbst kommenden Jahres. Aber ob nun in einem oder in zwei Jahren, so Loest gelassen, das sei doch egal. Das Warten, vor allem das erzwungene, hat Erich Loest lernen müssen. Mit 31 wurde der in Mittweida/Sachsen Geborene 1957 wegen „konterrevolutionärer Gruppenbildung“ zu Gefängnishaft verurteilt. Sieben Jahre saß er in Bautzen II, sieben Jahre, in denen dem Schriftsteller ein rigoroses Schreibverbot auferlegt wurde. 1974 begann Loest mit der Arbeit an seinem Roman „Es geht seinen Gang oder die Mühen der Ebene“. Nachdem er Jahre unter Pseudonym erfolgreich Kriminalromane veröffentlicht hatte, sei es nun an der Zeit gewesen, ein „ernsthaftes Buch“ zu schreiben. Wie ernst seine Geschichte über den Ingenieur Wolfgang Wülff von den DDR-Oberen dann genommen wurde, das wird auch Loest kaum erwartet haben. Abwechselnd las Erich Loest in Potsdam aus „Es geht seinen Gang“ und „Der vierte Zensor“, in dem er die Entstehung, die Querelen um die Drucklegung und das Verbot des Romans nach zwei Auflagen rekonstruiert. Dass er mit Wolfgang Wülff einen Helden schuf, der nicht danach strebte, zum Wohle des Sozialismus sich die Karriereleiter hinauf zu quälen, das konnte nicht sein. Zwei Erlebnisse prägen Wulff, diesen Durchschnittsbürger. Als Jugendlicher protestiert er mit anderen gegen das Verbot der Beatgruppe Old-Kings-Combo und wird von einem Polizeihund angegriffen. Später erlebt er den Zusammenbruch seines Abteilungsleiters Grosser, den sein Streben nach Bestleistungen einen Herzinfarkt bescherte. Wülff hinterfragt das scheinbar so klar gefügte sozialistische Menschen- und Weltbild. Und indem er nicht mehr nach Macht strebt, verweigert er sich diesem. Diese Unabhängigkeit, die sich Wülff dadurch bewahrt, dass er nicht nach Macht strebt, so erklärte Loest, sei für ihn im Rückblick der Hauptgrund, warum sein Roman verboten wurde. Denn ein Mensch, der keine Macht habe, sei schwerer unter Druck zu setzen. Und die Menschen unter Druck zu setzen, das war eine ausgesprochene Lieblingsbeschäftigung in der DDR. Erst 1978 erschien „Es geht seinen Gang“. Dazwischen lagen lange Monate des Wartens. Immer wieder gab es Diskussionen über bestimmte Stellen, die geändert werden sollten. Auf 26 solcher Änderungen ließ sich Loest ein. Als dann kurz nach dem Erscheinen erneut Druck auf ihn ausgeübt wurde, weiter zu kürzen, damit das Buch nicht verboten werde, stellte er sich quer. In „Der vierte Zensor“ beschreibt Loest seine Wut, seine Verzweiflungen und die Bemühungen um seinen Roman. Doch der blieb verboten, wurde aber in der BRD ein Erfolg. Erst nach 1990 wurde Erich Loest klar, wie eng die Stasi ihr Netz um ihn gespannt hatte. Selbst beste Freunde hatten ihn bespitzelt. Almuth Bisky, Ehefrau des Parteichefs der PDS, Lothar Bisky, erkläre noch heute ihre IM-Tätigkeit mit Parteitreue. Auf eine Entschuldigung hat Loest bisher vergeblich gewartet. Und während dem Zuhörer ob derartiger Tatsachen noch immer die Galle rebelliert, gibt sich Erich Loest humorvoll-gelassen. Denn er weiß die Zeit auf seiner Seite. Die Stasi gibt es nicht mehr. Sein Roman „Es geht seinen Gang“ ist dagegen noch immer erfolgreich, mittlerweile in ganz Deutschland.Dirk Becker

Dirk Becker

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