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Und wehe, er schickt die Musiker früher nach Hause. Antonello Manacorda bei der Probe.

©  KAP/Gloede

Kultur: „Es geht immer um das Experiment“

Antonello Manacorda, Chefdirigent der Kammerakademie, über „Teatro in Musica“ und die Neugier

Stand:

Herr Manacorda, „Teatro in Musica“ heißt ein neues Format im Programm der Kammerakademie. Was hat es damit auf sich?

Die Sopranistin Felicity Lott, die erst im März mit der Kammerakademie im Nikolaisaal auftreten wird, ist eine alte Freundin und eine unglaubliche Sängerin. Schon einmal habe ich mit ihr „La voix humaine“ von Francis Poulenc aufgeführt. Das ist im Grunde eine Oper für eine Person und als einzige Requisten braucht es nur ein Sofa, einen Tisch und ein Telefon. Wenn man dann auch noch das Glück hat, mit einer so großen Schauspielerin wie Felicity Lott zu arbeiten, merkt man sehr schnell, dass man gar keinen Regisseur braucht. Und da habe ich mir gesagt, das können wir in Potsdam auch.

Aber schon das Saisoneröffnungskonzert am Freitag mit der Schauspielerin Katharina Thalbach und auch der Abend mit Elke Heidenreich im Mai stehen unter dem Titel „Teatro in Musica“.

Es gibt so viele Stücke, ich nenne sie jetzt mal Zwischenstücke, die nicht allein Konzert oder Oper sind. So ist „Die Geschichte vom Soldaten“ von Igor Strawinsky, die am Freitag zusammen mit Katharina Thalbach zu erleben sein wird, für eine szenische Aufführung gedacht. Ein Stück für ein Straßentheater mit einem kleinen Theaterwagen, wo sich zwei Vorhänge öffnen und mit Puppen gespielt wird. Wir haben uns für die Variante mit einer Erzählerin entschieden. Und ich glaube, das ist auch eine neue Erfahrung für das Publikum, weil sie hier kein reines Konzert, aber auch kein reines Theater erleben.

Spricht da aus Ihnen auch der Wunsch, das traditionelle Veranstaltungsmuster von Sinfoniekonzert, Kammerkonzert, Oper und Operette aufzubrechen?

Es gibt jetzt keinen konkreten Anlass, dieses Muster aufzubrechen. Aber ich mag es zu experimentieren. Wir könnten es uns einfach machen und das übliche Programmschema bedienen. Erst recht weil es immer wieder heißt, in kleineren Städten sei das Publikum recht konservativ. Ich glaube das nicht. So habe ich bei meinem ersten Konzert in Potsdam neben der zweiten Sinfonie von Schumann auch „Unanswered Question“ von Charles Ives und das fis-Moll-Streichquartett von Arnold Schönberg in der Fassung für Streichorchester mit Sopran gespielt. Und gerade Schönberg schreckt ja bekanntlich das Publikum ab. Aber ausgerechnet bei diesem Stück war das Publikum so was von da, manchmal schien es fast schon, als würde es gar nicht mehr atmen. Das Publikum kann man immer überzeugen. Mit Qualität.

Qualität, die bei Ihnen immer auch ein Experiment sein soll, um nicht beliebig zu klingen?

Für mich ist das die Grundlage, das Gesetz, um überhaupt Kunst machen zu können. Es geht immer um das Experiment. Ohne Experimente hätte es gar keine Entwicklung in der Kunstgeschichte gegeben. Nehmen wir das Dissonanzenquartett von Wolfgang Amadeus Mozart. Als das aufgeführt wurde, saßen Mozarts Vater Leopold und Joseph Haydn im Publikum. Ich kann mir vorstellen, was die für Augen gemacht haben, als sie die Musik hörten und sich fragten: Herrgott, was hat er da bloß gemacht? Aber zum Glück hat er das gemacht. Nur leider vergessen wir Musiker heute zu oft, das es auch bei uns ums Experimentieren geht. Und da ist auch Kritik nicht wichtig, denn dem einen gefällt es, dem anderen wieder nicht. Aber was zählt, das ist Lebendigkeit.

Dieser Anspruch von Lebendigkeit und das ständige Experimentieren lässt sich für einen Dirigenten ja immer erst mit einem entsprechenden Orchester umsetzen.

Ja, und das ist leider nicht sehr oft möglich. Umso glücklicher bin ich mit der Zusammenarbeit mit der Kammerakademie. Denn bei diesen Musikern ist das Experimentieren Alltag. Das war auch die Idee, als ich als Konzertmeister das Mahler Chamber Orchestra gegründet habe. Mittlerweile ist das ein etabliertes Kammerorchester, aber die Grundidee des Experimentierens ist immer noch maßgebend. Meine Erfahrung als Dirigent ist mittlerweile die, dass es wirklich schwer ist, Orchester zu finden, die diesem Anspruch gerecht werden. Wenn wir eine Partitur vor uns zu liegen haben, sie studieren, mit ihr arbeiten, sind wir immer auf der Suche nach der Wahrheit. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass diese Wahrheit nicht zu finden ist. Das mag vielleicht frustrierend klingen, ist es aber nicht. Denn das treibt uns immer wieder an. Denn wenn ein Musiker sagt, er hat die Wahrheit gefunden und er ist zufrieden mit sich, dann ist er im Grunde genommen tot.

Und diesen immerwährenden Antrieb zur musikalischen Wahrheitssuche erleben Sie mit der Kammerakademie?

Absolut. Und die sind da sehr hartnäckig. Anfang des Jahres gab es eine Woche, da war ich sehr müde. Zuvor war ich acht Wochen fast ausschließlich nur unterwegs gewesen, verschiedene Konzerte und Opernprogramme. Da habe ich einmal das Orchester eine halbe Stunde früher aus der Probe entlassen. Und was ist passiert? Die haben sich beschwert!

Sie klingen noch immer überrascht.

Ein Orchester, das sich beschwert, weil es eine halbe Stunde früher nach Hause gehen kann! Ja, das ist doch ein Traum.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Die Kammerakademie Potsdam unter Antonello Manacorda eröffnet zusammen mit der Schauspielerin Katharina Thalbach am kommenden Freitag, dem 24. August, um 20 Uhr die Saison im Nikolaisaal in der Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Karten in der Ticket Galerie des Nikolaisaals oder unter Tel.: (0331) 28 888 28

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