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Kultur: „Es geht nicht um schöne Bilder“

Das internationale Potsdamer Theaterfestival Unidram feiert 20. Jubiläum. Leiter Jens-Uwe Sprengel erklärt, warum es noch kein bisschen müde ist

Stand:

Herr Sprengel, Unidram, das klingt nach Studium, nach Aufbruchstimmung, da liegt das Junge schon im Namen. Wie jung ist das Festival nach 20 Jahren noch?

Unser Ansatz beim Kuratieren ist der Blick auf junges, das heißt interessantes, neues, überraschendes Theater – was nicht immer heißen muss, dass die Protagonisten jung sein müssen. 20 Jahre ist kein Alter, auch nicht für ein Theaterfestival. Und so sind in diesem Jahr auch Theater, sozusagen als alte Bekannte, im Programm vertreten, weil sie das Profil von Unidram mitgeprägt haben.

Welche Theatergruppen sind das?

Akhe etwa, die St. Petersburger Gruppe. Ein Theater, das sich natürlich auch entwickelt hat, älter geworden ist, aber das Publikum immer noch zu überraschen weiß mit Bildern, die oft rätselhaft und surreal sind und dabei das Unterbewusste ansprechen, wie etwa hier auf einem unserer Unidram-Plakate der vergangenen Jahre, der Mann mit dem brennenden Buch in der Hand und einer Konstruktion im Gesicht, die ihm den Mund aufreißt. Die arbeiten oft auch mit lustvoller Zerstörung einer Unmenge von Alltagsgegenständen wie Colaflaschen, Äpfeln, Farbe, Nägeln, Mehl, Zeitungen – das erzeugt beim Publikum immer auch ein gewisses Lustempfinden, weil man am liebsten selbst in den Sachen matschen möchte.

Das Visuelle spielt bei Unidram immer eine wichtige Rolle?

Schon in den Anfangsjahren haben uns die starken, oft visuellen, ungewöhnlichen Theaterformen aus Osteuropa inspiriert, ja. Im Laufe der Jahre hat sich unser Blick dann etwas verschoben, wichtig wurde vor allem das italienische Theater, das in diesem Jahr mit Citta di Ebla vertreten ist. Eine Theaterform, die vielleicht im Vergleich zum osteuropäischen Bildertheater kälter und härter ist, mit ihrer visuellen Sprache aber auch sehr große Emotionen erzeugen kann. Uns geht es nicht nur um die Oberfläche der schönen Bilder, sondern dass etwas passiert, das den Zuschauer auch weiterbeschäftigt.

Was kann und soll Theater leisten?

Das ist natürlich eine ganz große Frage. Wir verstehen Theater als Möglichkeit, über den Alltag hinauszugehen, in einem transzendenten Sinn. Es muss Dinge erzählen, die sich rational nicht oder nicht so einfach erschließen. Ein aktueller gesellschaftlicher Bezug ist wichtig, steht für uns aber nicht an erster Stelle. Theater kann durch seine visuelle Kraft, die Energie des Spiels auf eine ganz besondere Weise den Kontakt zum Publikum herstellen, emotionalisieren. Das kann manchmal verstörend, oft aber auch beglückend sein.

In einem Grußwort zu Unidram 2013 steht, Ihr Festival reiße immer wieder Grenzen ein. Welche Grenzen kann das Theater denn heute noch einreißen?

Uns geht es nicht um Tabubrüche oder Grenzüberschreitungen als Selbstzweck. Wir möchten unser Publikum eher positiv überraschen, sie für das Theater begeistern. Dabei lässt sich oft nicht wirklich fassen, wodurch man emotionalisiert, persönliche Grenzen überschreitet.

Wer sich das Programm anschaut, kann den Eindruck gewinnen, dass es bei vielen Stücken dieses Jahr um die Suche nach Identität geht. Spiegelt das auch ein wenig die Situation von Unidram, nach 20 Jahren noch mal in der Vergangenheit nach dem Eigenen zu suchen?

Für uns steht und stand schon immer im Vordergrund, was den Menschen ausmacht. Aber einen bestimmten Fokus setzen wir nie, wir wollen ein möglichst vielfältiges Programm bauen, das auch nicht von einer bestimmten Form dominiert ist. Klar haben wir dieses Jahr mit She She Pop bewusst ein Ost-West-Thema an den Anfang gesetzt.

Die mit ihrem Stück „Schubladen“ das Festival eröffnen, das ein Ost-West-Thema behandelt, das ja auch ein bisschen die Geschichte des Festivals widerspiegelt. War das eine bewusste Entscheidung zum Jubiläum?

Ja, klar, das ist ja besonders vor dem Hintergrund der Festivalgeschichte sehr passend. Zunächst war es aber unklar, ob wir die Gruppe gewinnen können, hier zu spielen, da sie im Moment sehr viel international unterwegs sind. Glücklicherweise ist es auch für She She Pop interessant, gerade dieses Stück in Potsdam zu spielen, wegen des Themas, das hier ja doch eine besondere Bedeutung hat.

Wie wichtig ist denn die Ost-West-Frage über 20 Jahre nach der Wende noch?

Dazu kann ich nur sagen: Stück angucken! Es macht Spaß, ist provozierend und weit mehr als nur ein historisches Stück. Auch wenn die Ost-West-Frage gegenwärtig nicht mehr eine so dominante Rolle spielt. Das spiegelt sich ja auch in der Entwicklung von Unidram wider. Die klare osteuropäische Ausrichtung hat sich auf ganz Europa erweitert. Solche Entwicklungen haben immer positive und negative Seiten.

Was sind die negativen Seiten?

Die Theaterszene hat sich internationalisiert. Manches ist dadurch vielfältiger geworden aber dabei gehen auch nationale Besonderheiten verloren. Das kann man auch aber auch ganz wertfrei als Veränderung der Theaterlandschaft sehen, das will ich gar nicht aus nostalgischen Gründen beweinen.

Gab es vor 20 Jahren noch eine stärkere Aufbruchstimmung?

Es gibt nach wie vor sehr spannendes Theater aus Osteuropa. Natürlich ist die gesellschaftliche Brisanz, aus der viele Dinge in den 90er-Jahren entstanden sind und die sehr neuartig waren, extrem eigenwillig, jetzt nicht mehr da. Spannungsfeld und gesellschaftliche Bezüge haben sich verändert. Nach den ersten zehn Jahren Unidram haben wir beobachtet, dass es trotz des Wandels weiterhin sehr schlechte Arbeitsbedingungen für die Künstler in Osteuropa herrschten und sie sich teilweise in Westeuropa niederließen, die Szene sich internationalisierte. Dadurch konnten wir das osteuropäische freie Theater nicht mehr so isoliert betrachten und haben den geografischen Schwerpunkt dann auf ganz Europa erweitert.

Stichwort Geld: Wie ist es um die zukünftige Situation von Unidram bestellt, denn das Land hat die Förderung für 2014 gekürzt?

Ja, die Kürzungen für 2014 sind sehr schmerzhaft. Zum Jubiläum hat die Stadt das Festival glücklicherweise sehr stark unterstützt. Neben den Personalkosten, die wir über den Haushalt des T-Werks abgedeckt haben, müssen wir den Projektetat für Unidram jedes Jahr neu finanzieren. In den ersten zehn, fünfzehn Jahren konnten wir das sehr gut über Drittmittel, etwa über die Bundeskulturstiftung oder die Robert-Bosch-Stiftung und viele Landesministerien. Die Stiftungen und Fonds gewähren aber meist nur eine Anschubfinanzierung, nach 20 Jahren sind also Land und Kommune wesentlich stärker gefragt. So müssen wir jedes Jahr neu um die Mittel kämpfen und können nicht langfristig planen. Das aber wäre für ein internationales Festival in unserer Größenordnung nötig.

Wäre Sponsoring eine Alternative?

Wir haben für die Unterbringung der Künstler etwa ein Sachsponsoring in Kooperationen mit Potsdamer Hotels, für ein direktes Sponsoring fehlen in Brandenburg Struktur und Tradition, die wenigen großen Sponsoren orientieren sich da eher am Sport, nicht an zeitgenössischer Kunst.

Hat sich Unidram auch durch die Sanierung der Schiffbauergasse verändert?

Ja, das Festival hat sich in den vergangenen 20 Jahren verändert, wie auch die Schiffbauergasse. Unser Niveau ist gestiegen, wir haben uns professionalisiert – und damit sind auch die Erwartungen an das Festival und an die Schiffbauergasse heute höher. Gleichzeitig sind aber auch die Auflagen und Bedingungen der verschiedenen Behörden wie Feuerwehr und Bauaufsicht gestiegen – das bedeutet für uns einen wesentlich höheren Personalaufwand und damit auch höhere Kosten.

Vermissen Sie manchmal das chaotische der Anfangszeit?

Nein. Es beruhigt und erzeugt auch Energie, wenn sich bestimmte Strukturen so professionalisiert haben, dass man weiß, das läuft jetzt. Das schätzen auch die Künstler, die zu uns kommen. Wenn man weiß, wie es funktioniert, macht es auch Spaß. Wir sind eher froh, wenn bestimmte Fragen der Anfangszeit jetzt einfach auf einem gewissen Niveau gut laufen und wir uns mehr um inhaltliche Fragen kümmern können. Dass wir in diesem Jahr etwa eine Gruppe wie She She Pop einladen konnten, zeigt, dass wir uns entwickelt haben, einen bestimmtes Level erreicht haben – das wir natürlich in den kommenden Jahren noch ausbauen wollen.

Was wünschen Sie sich für die nächsten 20 Jahre?

Hauptthema ist da die Finanzierung. Da muss ich gar nicht nur für Unidram sprechen, ich finde es für Potsdam wichtig, der Festivallandschaft eine Perspektive zu geben. Nur so kann man mit den Künstlern auch über längere Zeiträume planen.

Das Gespräch führte Ariane Lemme

Jens-Uwe Sprengel, geb. 1966 in Cottbus, ist seit 2004 künstlerischer Leiter des Freien Theaters T-Werk und Regisseur.

Der Potsdamer Vater dreier Kinder hat Unidram mit entwickelt.

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