
© Manfred Thomas
Kultur: „Es geht um das Gefühl des Erlebens“
Isabel Stegner und Peter Rainer von der Kammerakademie über eine neue Bildungskooperation
Stand:
Seit Januar bieten Sie die spezielle Bildungskooperation „Kammerakademie wird Partner von Schulen“ an. Was hat es mit dieser neuen Bildungskooperation auf sich?
Isabel Stegner: Wir haben Anfang des Jahres eine Förderung für zwei Jahre durch die Landesagentur für Struktur und Arbeit mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds im Bereich Musikvermittlung und Konzertpädagogik erhalten, die uns ermöglicht, unseren Education-Bereich weiter auszubauen. Diese zwei Jahre wollen wir nun unter anderem dazu nutzen, ein attraktives Angebot für Schulen zu erstellen, eine Mischung aus Konzerten und Workshops, die auf den Lehrplan zugeschnitten sind. Somit können wir ein Partner werden, der das passende Angebot hat.
Peter Rainer: Jede Schule kann dieses Programm schon jetzt buchen. Aber dieses Angebot können wir nun dank der Förderung mit unserem Education-Team in den kommenden zwei Jahren noch erweitern.
Warum konzentrieren sich die Musiker der Kammerakademie neuerdings so verstärkt auf den Bereich Bildung?
Stegner: Das haben wir schon von Anfang an gemacht. Peter Rainer hat regelmäßig Kinderkonzerte organisiert und an Schulen waren wir auch präsent. Wir haben viele Musiker im Ensemble, die großen Spaß an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen haben. Da heben wir uns auch eindeutig von anderen Orchestern ab, wo dafür oftmals ein Musikvermittler von außen kommen muss. Wir haben schon lange darum gekämpft, dass dieser Bereich bei der Kammerakademie größer wird. Aber bisher ist das immer an den fehlenden Geldern gescheitert, da wir nur ein sehr begrenztes Budget haben.
Rainer: Ein Stück weit ist diese Arbeit auch Verantwortung. Dass man als Musiker heutzutage gerade im klassischen Bereich die Verantwortung spürt, die Verbindung zwischen Publikum und Orchester nicht abreißen zu lassen und damit dieses natürliche Verständnis für unsere Musik auch weiter existiert. Damit verbunden ist auch die abnehmende Bildung im Musikbereich an den Schulen. Denn da fehlen oft das Geld und die Zeit, den Kindern entsprechende Angebote zu machen.
Also richtet sich Ihre Bildungskooperation auch gegen die Tendenz an Schulen, bestimmte Lehrinhalte zu kürzen oder komplett zu streichen?
Rainer: Ja, aber immer vom Standpunkt des Profi- oder Orchestermusikers, der im Konzertsaal auftritt. Das ist keine Schulmusik nach Lehrplan, die wir bieten, sondern eine Art von Konzertvermittlung.
Stegner: Uns geht es um dieses Gefühl des Erlebens. Gerade Jugendliche sagen, dass sie diese Sprache nicht gelernt, dieses natürliche Verständnis nicht entwickelt haben. Die stehen dann vor dieser Musik und denken, sie verstehen ja sowieso nichts. Wir wollen ein unbefangenes Herangehen vermitteln, aus dem sich später vielleicht sogar Begeisterung entwickelt.
Was heißt Sprache und natürliches Verständnis in diesem Zusammenhang?
Stegner: Das Tolle an Musik ist ja gerade, dass sie unmittelbar wirkt, nicht erst durch den Kopf gehen muss. Aber dafür muss man die Ausdrucksformen der europäischen Musik auch kennen gelernt, ein Stück weit erlebt haben. Am besten von Kindesbeinen an, damit man diesen unmittelbaren Zugang hat.
Rainer: Es gibt ja Formen und Regeln in der Musik. Die sind mit der Zeit immer komplizierter geworden, bis hin zu Schönberg. Aber das alles geht ja unheimlich tief. Auch wir als Profimusiker entdecken beispielsweise bei Mendelsohn-Bartholdy immer noch Zitate von Bach und wissen, dass dies eine Botschaft war. Aber auch um diese Musik allein nur genießen zu können, bedarf es eines Grundgerüsts.
Wie vermitteln Sie dieses Grundgerüst, wie sieht konkret Ihre Arbeit mit Kindern und Jugendlichen aus?
Stegner: Das ist ganz unterschiedlich. Vor kurzem haben wir beispielsweise mit einer 8. Klasse für ein Kinderkonzert im Nikolaisaal zusammengearbeitet. Die Schüler haben sich dafür intensiv mit Charles Ives „The unanswered question“ beschäftigt und im Unterricht eigene Varianten entwickelt. Dadurch haben sie sich natürlich intensiv mit dem Aufbau und der Klangsprache beschäftigt, haben das Stück sozusagen von allen Seiten kennenlernen können. Dann gibt es unsere regulären Konzerte, die auf das Erleben ausgerichtet sind. Daneben dann auch ein Projekt, in dem es um neue Musik geht und die Kinder selbst Musik machen. Das versuchen wir immer einzubringen, dass die Kinder aktiv werden, selbst musizieren.
Richtet sich dieses Angebot nur an bestimmte Altersklassen?
Rainer: Nein, das geht schon in der Vorschule los. Aber die wichtigsten Alterstufen sind die der 3. und 4. Klasse.
Stegner: Ja, da sind die Kinder noch unheimlich offen, saugen das alles auf wie ein Schwamm. Ab der Mittelstufe wird es schwierig, weil den meisten dann alles sehr schnell peinlich ist.
Rainer: Aber damit müssen wir dann auch umgehen können.
An wie vielen Schulen arbeiten Sie mit solchen Angeboten?
Stegner: Wir sind in Michendorf; an der Nuthetal-Schule mit erhöhtem Förderbedarf; mit dem Helmholtz-Gymnasium haben wir eine Kooperation, dann machen wir viel mit der Goethe-Schule und der Grundschule im Priesterweg in Drewitz zusammen. Und dann arbeiten wir derzeit mit unserem aktuellen Projekt „Break Classics“, das Anfang Mai im Nikolaisaal Premiere haben wird, auch mit dem Schiller-Gymnasium.
Wie viele Musiker der Kammerakademie arbeiten in dem sogenannten Education-Team?
Stegner: Vor kurzem waren acht von uns auf einer Fortbildung. Das ist so der Kern. Aber da wir insgesamt nur 30 Leute im Orchester sind, ist das schon ein sehr hoher Anteil.
Rainer: Wobei das auch fließend ist. Das Projekt leitet Isabel Stegner und dann gibt es viele Musiker, die sich auf unterschiedliche Weise einbringen. Im Grunde sind alle Musiker der Kammerakademie daran beteiligt.
Das Gespräch führte Dirk Becker
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