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Kultur: „Es geht um Emotionen“

Clemens Goldberg über die Musik Beethovens und das Experiment mit dem Ohrphon im Konzert mit Tzimon Barto

Stand:

Herr Goldberg, die 32 Klaviersonaten von Beethoven scheinen nichts von ihrem Reiz zu verlieren, werden immer wieder eingespielt und sind regelmäßig in Konzerten zu erleben. Was macht diese doch sehr komplexen und anspruchsvollen Klaviersonaten Ihrer Meinung nach bei den Zuhörern so beliebt?

Ich weiß gar nicht, ob sie wirklich so beliebt sind. Sie sind zumindest sehr beliebt bei den Pianisten. Das ist wie „Das wohltemperierte Klavier“ von Bach einfach so eine Art Bibel. Wenn man da durch ist, hat man alles durchmessen, was man im Ausdruck und in den verschiedensten technischen Anforderungen durchschreiten kann. Das sind Riesenherausforderungen. Dann klingt Beethoven nicht nur in den Klaviersonaten, sondern auch in den Streichquartetten, letztlich sogar in den Symphonien immer auch unglaublich modern. Ich glaube, das liegt daran, dass man einerseits etwas aus der Vergangenheit spielt, aber dass diese Musik immer noch Fragen an uns stellt, die uns herausfordern. Und das ist der Reiz dabei.

Spielt András Schiff die Sonaten von Beethoven in Berlin dann vor ausverkauftem Haus. In diesem Jahr hat dann Rudolf Buchbinder die Sonaten im Kammermusiksaal der Philharmonie gespielt. Das Publikum ist ja da. Dann liest man aber ein Interview mit Igor Levit, der gerade sein Debütalbum mit den letzten fünf Sonaten von Beethoven veröffentlicht hat und sagt, je mehr er sich mit Beethoven beschäftigt, umso weniger Leute kennt er, mit denen er sich wirklich darüber unterhalten kann. Das klingt doch paradox.

Ich glaube, dass das ein Gottesdienstphänomen ist. Die Leute wissen instinktiv, dass es etwas ganz Großes und Wichtiges ist. Man geht dann in das Konzert wie zu einem Gottesdienst. Aber eigentlich wissen die Menschen immer weniger darüber, wie früher, als die Messen noch auf Latein abgehalten wurden. Die Grundlagen, warum Beethoven eigentlich so revolutionär für seine Zeit war und warum er uns heute immer noch so anspricht, diese entschwinden immer mehr. Also man lässt sich irgendwie gefangen nehmen. Man merkt ja auch, da geht Ungeheures auf der Bühne vor sich, aber für ein wirklich tiefes Verständnis müsste man eigentlich wieder mehr tun. Das tun wir ja auch indirekt mit dem, was wir in Potsdam jetzt treiben.

Beim Auftritt des amerikanischen Pianisten Tzimon Barto in der Reihe „Alles Beethoven“ am Sonntag im Nikolaisaal werden Sie Hörer, die das wollen, durch das Ohrphon während des Konzerts kommentierend begleiten. Wie muss man sich das jetzt genau vorstellen?

Natürlich werde ich nicht sprechen, während Herr Barto spielt. Es wird zuerst eine Einführung geben, in der ich darauf hinweise, auf was man achten kann, wer Tzimon Barto ist, wie er sich so in die Reihe derer, die Beethovensonaten spielen, einreiht und was die besonderen Herausforderungen der Werke sind, die an diesem Abend zu hören sind.

Diese Einführung erfolgt, während die Zuhörer schon im Saal sitzen?

Ich kann durch dieses Ohrphon in der Mitte des Saales sitzen und kann da reinreden, ohne dass das irgendjemanden stört, aber man kann es ganz genau hören. Das ist ein bisschen so wie bei Museumsführungen. Das hat man ja schon oft gesehen. In der Pause bin ich dann im Foyer. Da können die Leute sich entscheiden, ob sie mich treffen und dann vielleicht auch in ein Gespräch kommen wollen oder ob sie diese erste Einschätzung hören und ihnen das reicht. Da hat man sozusagen auch dieses „Meet the Critic“, also man kann ihn dann auch mal von Angesicht zu Angesicht sehen und sagen: „Mensch, was haben Sie denn da gehört? Ich höre das doch ganz anders.“

Nach dem Konzert soll es gleich eine Einschätzung von Ihnen geben?

Ja, die klassische Konzertkritik, wo dann noch mal ein Fazit am Schluss gezogen wird. Da sitze ich dann so, dass niemand über mich drüberkrabbeln muss. Dann können die Leute, die das wollen, sitzen bleiben und das hören. Da müssen wir auch noch ein bisschen Erfahrungen sammeln, wie das dann funktioniert.

Auf der einen Seite werden Sie den unerfahrenen Konzertbesucher als Zuhörer haben, andererseits mit Sicherheit auch den regelmäßigen Konzertgänger, der ganz genau hinhören wird, was Sie als Kritiker sagen. Wie gehen Sie mit dieser Herausforderung um?

Ich bin ja dafür bekannt, auch was meine Frühkritiken beim RBB betrifft, dass wir davon wegkommen müssen, bei der Musikkritik ein Urteil zu verkünden und eine Note zu vergeben. Ich vermittle eine emotionale Erfahrung, die durch sehr viele Konzertbesuche bereichert und vertieft ist. Da kann man hier und da eine Bemerkung machen, die für den Fortgeschrittenen ist, aber die eigentliche Sache ist die Vermittlung des Erlebnisses und der Emotionen. Wie kann man sowas erleben? Was konnte man hören? Und ich denke, für manchen macht es natürlich diesen Reiz aus. Ich höre das so, wie hört das jemand anderes, der sehr viel in Konzerte geht?

Mit dem Ohrphon-Angebot bei Konzerten betreten Sie auch ein neues Terrain.

Ja, und wir werden auch jedes Mal ein wenig was anderes ausprobieren. Ich bin ja sowieso eher jemand, der spontan ist. Ich hatte zum Beispiel die Möglichkeit, in der Pause zu reagieren. Wenn die Leute mich Dinge fragen, kann ich die zum Schluss auch noch einmal aufgreifen. Diese Möglichkeit habe ich sonst ja überhaupt nicht. Das ist auch eine Chance.

Auch ein Gewinn für den Kritiker, weil der auch sofort Reaktionen von den Zuhörern bekommt?

Es soll hier ja die Kommunikation zwischen allen Beteiligten in Gang gebracht werden. Meine Vision ist, dass wir in der nächsten Saison auch im Anschluss mit den Künstlern ins Gespräch kommen, die normalerweise überhaupt nicht mit dem konfrontiert werden, der die Kritik macht. Da sind die großen Vorbehalte zu überwinden. Ich habe viele Künstler gesprochen, die alle entsetzt abgewinkt haben. Nein, sie wollen sich nicht gleich nach dem Konzert die Laune verderben lassen, dabei könnten sie doch auch sehr viel Lobendes und vielleicht Anregendes hören. Und auch mit den Hörern ins Gespräch kommen. Das wird ja zum Beispiel im Konzerthaus Berlin gemacht. Da gibt es zwar schon diesen Austausch zwischen Künstlern und Hörern, aber da wird nicht die Fachkompetenz des Kritikers zwischengeschaltet und auch nicht die kritische Distanz. Das ist ein anderes Modell. Aber für mich wäre es ideal, wenn alle drei Parteien nach dem Konzert zusammenkämen. Ich glaube auch, das würde sehr viel auch solche Hemmschwellen abbauen. Letztendlich ist es ja auch immer eine Glaubensfrage bei den Klaviersonaten von Beethoven und den vielen unterschiedlichen Interpretationen.

Was schätzen Sie an Tzimon Barto als Beethoven-Spieler?

Das ist eine heikle Frage. Er ist ja bekannt als der athletische Spieler. Aber ich finde, es ist ganz interessant, bei ihm die Emotionen und die Athletik im Austausch zu sehen. Ich erwarte jetzt nicht die große intellektuelle Auseinandersetzung wie bei András Schiff zum Beispiel. Aber ich denke, es wird auch eine ganz gute Dosis sportiv zugehen. Insofern ist für mich die größte Frage: Wird das sportive Element ausbalanciert werden oder nicht?

Das Gespräch führte Dirk Becker

Clemens Goldberg begleitet in der Reihe „Mit dem Kritiker ins Konzert“ per Audioguide das Konzert des amerikanischen Pianisten Tzimon Barto am morgigen Sonntag um 16 Uhr im Nikolaisaal in der Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Der Eintritt kostet 8 bis 30 Euro

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