Kultur: Es lebe der Zweifel
„Mad King Cool“ – Ritter in der Russenhalle / Offener Kunstverein zeigt sein bislang größtes Projekt
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„Mad King Cool“ – Ritter in der Russenhalle / Offener Kunstverein zeigt sein bislang größtes Projekt Klingsors Zauberbett sowie sein Jungfrauen verschlingendes Monster werden gerade von den Artus-Rittern werbeträchtig durch die Stadt gefahren. Derweil basteln andere in der Russenhalle am Zauberwald sowie am Schloss. Alles dreht sich derzeit im Offenen Kunstverein um „Mad King Cool“, ihrer Parzival-Adaption. Es ist die bislang größte Produktion des Vereins: fast 70 Leute werden ab 10. November auf der Bühne der Russenhalle stehen, um sich durchaus humorvoll in die schicksalsbeladene Welt der Ritter zu begeben. Eschenbachs mittelalterliches Epos hielt viel Material für die quirlige „Meute“ bereit: vor allem zu Fragen über das eigene Erwachsenwerden. Der ruhelose Parzival mit all“ seinen Zweifeln und seinem Begehren, Gutes zu tun und doch Schuld auf sich zu laden, schien den Spielleiterinnen Ulrike Schlue und Nikki Bernstein geeignet, nach einer heutigen Interpretation zu suchen. „Wir konfrontierten die Kinder und Jugendlichen mit verschiedenen Situationen: Was passiert beispielsweise mit jemandem, der Fehler in der Gesellschaft begeht, ohne es zu ahnen. Oder wie verhält sich eine Stadt, die belagert wird, aber deren Bewohner Pazifisten sind. Wie werden sie sich wehren? Wir haben viele Fragen zum Denken gegeben und die Kids dazu improvisieren lassen.“ Aus diesen Spielsituationen erwuchs allmählich die Szenenfolge. Im Original findet Parzival nach einer langen Odyssee zum Glauben. „Aber das ist 800 Jahre her. Seither wurde sehr viel Unheil durch Glaubenskriege angerichtet. Deshalb wollten wir den Zweifel rehabilitieren. Bei Parzival ist der Zweifel böse, bei uns lebt er – und zwar als Allegorie in einer Rehherde. Die Rehe sind Parzivals Freunde und werden getötet. Doch sie kommen wieder, als Zweifler an zu festen Gewissheiten.“ Seit einem Jahr beschäftigen sich alle Gruppen des Vereins – ob Theater-, Mal- und Plastikkurse oder Chor – mit Parzival. „Wir hatten es als Projekt beim Kulturland Brandenburg zum Thema Christianisierung eingereicht. Doch es wurde abgelehnt. Dennoch ließen wir uns nicht von abbringen“, sagte Ulrike Schlue. Auch andere Künstler waren bereit, sich auf dieses Theaterwagnis einzulassen, bei dem auch die Requisiten und Kostüme aus eigener Werkstatt sind. Der Metallgestalter Rainer Fürstenberg zeigte zum Beispiel den Kinds, wie sich aus alten Fahrrädern und Metallschrott Pferde und Rüstungen bauen lassen. „Mitunter haben die Jungens acht Stunden hintereinander geschweißt.“ Ulrike Schlue freut sich, dass inzwischen die Hälfte der Spieler Jungen sind. „Das gibt eine ganz andere Energie.“ Für die Kleinen von der Gruppe Samurai sei es sehr schön, dass sie mit den Großen spielen dürfen, „und die Großen lassen sich erfreulicherweise auch auf die kleinen ,Chaoten“ ein.“ Alle seien durcheinander gewirbelt worden, auch um zu feste Strukturen zu vermeiden. Die vielen Einzelepisoden hat die engagierte Kunstvereins-Truppe zu 15 Bildern verdichtet. „Wir wollten nicht Parzivals ganze Geschichte Szene für Szene erzählen, das erschien uns zu brav. Wir halten uns am Epos, aber integrieren viele Ideen der Kinder und Jugendlichen.“ Nach dem im Sommerworkshop in Gottsdorf ein Großteil der Requisiten entstanden ist, werden sie nun der Russenhalle ein märchenhaftes Kolorit geben. „Das Grobe und Leere dieser Halle hat uns sehr gereizt. Und wir haben dort auch Platz, um mit unseren Pferde-Rädern durchzurasen“, freut sich Sabine Raetsch, die mit einer Ausstellung den Parzival-Faden noch weiter spinnt. „Wir haben in unseren Malkursen das große Thema Christianisierung aufgegriffen, die zehn Gebote ebenso wie die Todsünden auf Heutigkeit abgeklopft.“ Mit dieser Ausstellung werden sie in das neue, sanierte KunstWerk einziehen: am 18. November, zum Tag der Eröffnung des Studentischen Kulturzentrums in den Elfleinhöfen. Doch jetzt ziehen erst einmal die Ritter in der Russenhalle in die Schlacht.H. Jäger Premiere 10. November, 20 Uhr, Russenhalle, weitere Aufführungen 11./12., 20 Uhr, 13. 11., 16 Uhr, Karten Tel. 240923.
H. Jäger
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