Kultur: Es sind die guten Geschichten Dramatisch und auch zynisch: Kettcar im Lipa
„Das glaubt mir doch niemand, dass ich die ganzen Geschichten alle selbst erlebt habe“, meinte Kettcar-Sänger Marcus Wiebusch noch ziemlich zu Anfang – und nein, warum sollte ein Geschichtenausdenker wie er auch um seine Glaubwürdigkeit kämpfen müssen?Es geht der Hamburger Band Kettcar auch gar nicht darum, das Abbild des alltäglichen Lebens zu schaffen.
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„Das glaubt mir doch niemand, dass ich die ganzen Geschichten alle selbst erlebt habe“, meinte Kettcar-Sänger Marcus Wiebusch noch ziemlich zu Anfang – und nein, warum sollte ein Geschichtenausdenker wie er auch um seine Glaubwürdigkeit kämpfen müssen?
Es geht der Hamburger Band Kettcar auch gar nicht darum, das Abbild des alltäglichen Lebens zu schaffen. Das hatten sie auch nicht vor, viel zu lyrisch, viel zu bildhaft sind die kleinen, oft auch zynischen Geschichten, die Kettcar in ihrer unaufdringlichen, fast schon sentimentalen Weise vermitteln und in rauschhafte Triolen von E-Gitarrenakkorden kleiden.
Es sind die guten Geschichten aus dem Leben, die Frontmann Wiebusch mit seiner markant-rauchigen Stimme in bedeutungsschwangere lyrische Bilder verpackt. Natürlich drängt es sich geradezu auf, Kettcar in die Schublade der Hamburger Schule zu schieben, bloß weil Herkunft und deutsche Texte dies markant zu suggerieren vermögen. Aber damit wird man ihnen nicht gerecht – zu viel Pop, zu wenig kryptisches Verpackungsmaterial. Nein, Geschichtenerzähler sind sie, nicht mehr und nicht weniger; und das Erzählen hat eben immer etwas Dramatisches, was auch eines nötigen Pathos nicht entbehren darf.
Dabei gingen Kettcar nicht nur mit Vorband Findus auf Nummer sicher, sondern auch mit der Eröffnung des Konzertes. Klar, man hatte ein neues Album im Gepäck, aber das Altbewährte taugt als Anheizer immer noch am besten, weshalb das Publikum die fast schon als Klassiker zu bezeichnenden Titel wie „Graceland“ und „Kein Außen mehr“ vom vorhergehenden Album „Sylt“ dankbar annahm, zumal sie wohl doch ein wenig mehr die Bewegungsmuskulatur beanspruchten als die Tracks des aktuellen Outputs. Doch keine Angst, neben Klassikern wie „Balu“ – dem die männlichen Begleiter des vorwiegend weiblichen Publikums genauso auswichen wie die Band auf der Bühne dem Sänger – gab es schließlich auch Kostproben des neuen Albums „Zwischen den Runden“ geboten, gar keine Frage.
Dass nach nicht einmal anderthalb Stunden der letzte Song angekündigt wurde, verursachte so auch ziemlich schnell eine an Entsetzen grenzende Ratlosigkeit. Wirklich schon vorbei, gestrandet in einem quantitativ doch recht dürftigem Spektakel?
Von wegen: Ohne „Academy“ als Opener zur ausführlichen finalen Runde würden sich Kettcar nicht verabschieden dürfen, das war allen klar - und so gab es ohne zu zögern dann doch noch den würdigen Abschluss eines von buntem Licht und Nebel dominierten Konzerts. Genau: So etwas darf man nicht nur aus einer romantischen Perspektive heraus schön finden, man muss es sogar. Oliver Dietrich
Oliver Dietrich
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