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Kultur: Es wächst nicht zusammen, was zusammen gehört Jens Bisky über die „deutsche Frage“

in der Landeszentrale für politische Bildung

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Die Behauptung, die der Journalist Jens Bisky in seinem neuesten Buch aufstellt, hat etwas Provozierendes. Die deutsche Einheit, hergestellt mit 1250 Milliarden Euro Transfergeldern, sei gefährdet. Polemisch führt er die Ergebnisse vom Aufbau Ost an: „Herrliche Kulissen, eine Bevölkerung, die in „Duldungsstarre“ verfallen wäre und Bundesländer, die in „dauerhafter Abhängigkeit“ existieren müssten.

Er würde leicht als Feind der Einheit angesehen, obwohl er nur einige Tatsachen für sein Buch „Die deutsche Frage. Warum die Einheit unser Land gefährdet“ zusammen getragen habe, erzählt Jens Bisky am Mittwochabend in der Landeszentrale für politische Bildung. Er wollte den Erfolg der Einheit nur an den Erwartungen und Versprechungen von 1990 messen. Es könne nicht sein, meinte der Journalist, dass man in einem Modell weiter macht, das seit 1995 nicht korrigiert wurde.

Ist Jens Bisky also ein „Spalter“? Die Reihe der Warner und Provokateure, die sich gegen die deutsche Einheit aussprachen, reicht bis in die Wendezeit zurück. So sind Biskys zusammengetragenen Argumente alle nicht wirklich neu und schon gar nicht überraschend. Selbst sein Slogan von der „gefährdeten Einheit“ kann da kein wirklicher Aufreger sein.

Als ob etwas, das seit nun einer halben Generation tagtäglich gelebt und praktiziert wird und das so ständig spürbar Geschichte macht, jederzeit platzen könnte wie ein Luftballon. Bisky müsste wissen, dass auch in Zukunft die Probleme in Deutschland die Probleme aller Deutschen sein werden. Ob man will oder nicht.

Die Frage, was Bisky bezweckt, scheint berechtigt, zumal erst vergangenes Jahr der Volkswirt Uwe Müller über den „Supergau deutsche Einheit“ ähnliche Thesen wie Bisky vertrat und mit präziseren Zahlen unterlegt hatte. Freilich aus westdeutscher Sicht.

Jens Bisky, der Feuilletonist der Süddeutschen Zeitung, sagt, er wäre kein Berufsoptimist und kein Prophet, kein Koch, der Rezepte kennt. Wüsste er, wie er aus den fünf neuen Ländern Tigerstaaten machen könnte, er würde in die Politik gehen.

Dennoch hat Bisky in seiner exzellent formulierten Polemik Lösungswege aufgezeichnet. Er schlägt vor, den Solidarpakt zu kündigen, um den Transfer anders zu organisieren. Er wünscht sich, statt in immer neue Infrastruktur möge in Bildung und Forschung investiert werden. Potsdams Niemeyer-Spaßbad ist für Bisky da ein gutes Beispiel. Die EU-Millionen wären in der Uni Potsdam wesentlich besser investiert, meinte er.

Besonderes Augenmerk legt der Journalist auf das „Zauberwort der inneren Einheit“. Das Wort, sagte er, funktioniere zum Übertünchen und Zuschnüren von Problemen. Man müsse in Zukunft akzeptieren, dass man in zwei völlig unterschiedlichen Teilgesellschaften lebe. Die im Osten hätte sich aus Enttäuschung „zum zweiten Mal ins Private zurückgezogen“. Dass seine These von der Duldungsstarre der Ostdeutschen nicht ganz richtig sein kann, belegte der heftige Widerstand im Publikum. Die diskussionserfahrenen Zuhörer in der Landeszentrale waren die von Bisky gewünschten „politisch wachen Bürger“ und gaben kräftig Kontra.

Zum kurzzeitigen tumultartigen Wortgefecht kam es im Publikum, als die heikle Frage des Elitenaustausches nach der Wende angesprochen wurde, in dem allzu oft heimische Führungskräfte von Westdeutschen abgelöst wurden. Dem pauschalen Vorwurf aus dem Auditorium, „die waren ja alle bei der Stasi“ wurde lautstark widersprochen.

Also warum das Buch? Bisky will seine Mitbürger motivieren, indem er den Ist-Zustand des Landes beschreibt. Ihn störte, dass viele seiner Landsleute still halten und ihren Frieden mit den Zuständen gemacht haben und keine überregionalen Medien nutzen, um sich einzubringen. Gelingt ihm dieses Aufrütteln, kann er wirklich in die Politik gehen. Wie sein Vater, der an der Lehre der zwei sich fremden deutschen Teilgesellschaften sicher Gefallen finden wird.

In der nächsten „NachLese“ der Landeszentrale am 26. April geht es um „Flucht im geteilten Deutschland“, ein Buch von Bettina Effner und Helge Heidemeyer.

Matthias Hassenpflug

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