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Kultur: Es werde: Rock!

„Paula“ ungewohnt rockig im Waschhaus

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Als „Fotos“ die Bühne betreten, sieht es noch so aus, als wenn viele Potsdamer einen gemütlichen Fernsehabend dem Gestapfe durch den Schneematsch zum Waschhaus vorziehen würden. Doch auch für die wenigen, pünktlich Erschienenen rocken sich die vier Hamburger die Seele aus den schwitzenden Leibern. Mit schnarzenden Gitarren und unsicheren Ansagen katapultieren sie sich in die Herzen eines jeden Indie-Fans. Denn sie sind so herrlich sympathisch, wie sie sich da auf der Bühne abrackern, mit Sänger Tom, der sich so gekonnt fehl-intoniert durch die Drei-Minuten-Songs wurschtelt. Unvermeidliche Assoziationen werden aktiviert: „Tomte“, „Die Sterne“, „Winson“. Gerade möchte man bemängeln, dass die Songs sich doch arg ähneln, dass irgendwie nichts hängen bleibt, da kommt es von der Bühne geschmettert: „...aber was macht ein Verlierer, wenn er nicht mal mehr verliert?“ Wow! Der sitzt. Mit derartigen Phrasen fing es bei „Tocotronic“ auch an. Also lieber Füße und Kritikerstift ruhig halten und die vermeintlichen Durchstarter von morgen vorsichtshalber im „Zu beobachten“-Ordner abspeichern.

Dann legt „Paula“ los. Und wie die Dame und Herren loslegen! Auf dem Debütalbum „Himmelfahrt“ plätschert die Stimme oder vielmehr das zarte Stimmchen Elke Brauweilers beim Song „Jimmy“ noch über spacige Synthie-Streicher. Das Waschhaus bekommt als Einstieg eine rohe, verzerrte Version dieses „Paula“-Klassikers. Ein ruhiger Elektropop-Abend wird es also nicht, aber zu stören, scheint das niemanden.

Modisch gibt es zum Glück keine bösen Überraschungen. Im Vorfeld diskutieren zwei Jungs an der Bar lautstark, ob die Sängerin das alberne Stirnband aus dem Video zur ersten Single des Albums tragen würde. Sichtlich erleichtert strahlen die beiden einer Elke entgegen, die stilsicher im oliv-seidenen Einteiler, mit Absatzstiefeln und einem verzaubernden Lächeln die Bühne betritt.

Aber zurück zur Musik. Auf der aktuellen Scheibe hat sich die Hinwendung zum treibenden Rock schon angekündigt. Berend Intelmann, Gründungsmitglied von Paula, hat sich aus dem festen Bandgefüge herausgelöst, ist aber im Hintergrund immer noch als Produzent und Songwriter tätig. Songs, die Gefahr liefen, einzustauben, werden nun Kraft des Röhrenverstärkers verjüngt. Wie, um die Fans im Vorfeld zu beruhigen, nannten Paula die Platte dann auch „Ruhig Blut“. „Wir haben uns verändert, aber ihr mögt uns doch immer noch, oder?“ Na klar!

Dem Publikum im Waschhaus scheint die Verwandlung der „Paula“ auf jeden Fall zu gefallen. Es nimmt auch dankbar-tanzend eine Mischung aus Iggy Pop und Beach Boys-Chören mit französischem Text an. Das ist unverkennbar ein Cover des Belgiers „Plastic Bertrand“, der mit „Ca plane pour moi“ in den 70er Jahren die Charts stürmte. Einmal blicken „Paula“ noch zurück auf die „alte Elektropop-Zeit“. Bei ihrer großartigen Version von Rio Reisers „Mitten in der Nacht“ greift Brauweiler zur Bratsche („Nein, das ist keine Violine!“) und legt ihre Stimme auf ein Bett von vielschichtigen Synthie-Flächen.

Wie singt „Paula“ selbst: „Dabei wäre es manchmal angemessen, die alte Liebe zu vergessen. Doch: Liebe verbindet!“ Ganz genau! Christoph Henkel

Christoph Henkel

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