Kultur: Experimentell
Polarkreis 18 und das Filmorchester Babelsberg
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Köpfe wippen. Hände trommeln auf den Oberschenkeln. Man muss sich beherrschen, nicht aufzuspringen und die Stufen des Nikolaisaals hoch und runter zu tanzen. Was da so in den Fußsohlen kitzelt? Das sind die synthetischen Beats der Dresdner Indie-Helden von Polarkreis 18. Zusammen mit dem Filmorchester Babelsberg sorgten diese am Wochenende im ausverkauften Nikolaisaal für eine musikalische Geschmacksexplosion.
Felix Räuber, der lockige Frontsänger, zwitschert in seiner klaren, elfenhaften Stimme „Ich bin frei“. Dann macht er auf der Bühne allen vor, wie sich Freiheit anfühlt. Er springt, lässt sich von dem dominanten, taktgebenden Schlagzeug ergreifen und reißt dabei demonstrativ beide Arme in die Luft. Türkise Lichtkegel kreisen auf seinem schneeweißen Hemd.
Wenn nun orchestrale Begleitung mit diesen Dresdner Rocksongs fusioniert, ist das ein mehr oder weniger gewagtes Experiment. Glücksgefühle weckten an diesem Abend jedoch die romantisch-melancholischen Lieder des 2010 erschienenen Albums „Frei“. Das ging dann von den Fußsohlen bis mitten ins Herz. Beginnend mit einer Woge aus Streichern, findet der Song „Dreamdancer“ mit Bass, Klavier, Synthi-Elementen und einer großen Portion Schlagzeug seine komplette Ekstase. Ludwig Bauer schlägt mit seinem Kopf fast auf das Notenpapier auf seinem Flügel. Wie die Schüsse eines Sturmgewehrs feuern Schlagzeugbeats durch den Saal. Zwischendurch ertönt ein Paukenschlag. Beeindruckend ist Räubers klare Singstimme, die die Tonleiter scheinbar mühelos hoch und runter steigt. In Interviews hat der charismatische Sänger nicht zuletzt deswegen wiederholt Gerüchte über seine angebliche Homosexualität richtigstellen müssen.
Dem sehr gemischten Publikum mit Vertretern aller Altersklassen kann dies jedoch egal sein. Beflügelt von der bisweilen fast mystischen Atmosphäre bricht es schon zu Beginn der Pause in euphorischen Applaus aus. Der gilt sowohl der Popband als auch dem Orchester unter der Leitung von Dirigent Scott Lawton, das immerhin mehr als die Hälfte der 18 gespielten Lieder musikalisch untermalt und in jedem Fall aufwertet. Dann ertönt Räubers Stimme vom oberen Rang und leitet damit das Finale des Abends ein: „Wir sind allein. Allein, allein.“ Diese Zeilen kennt zumindest jedes Kind aus dem Kinofilm „Krabat“. Nun hält es niemanden mehr in seinem gepolsterten Sessel zurück. Das Publikum verschafft sich Beinfreiheit, applaudiert euphorisch und stimmt in textsichere Chorgesänge ein. Eindeutiger kann man es nicht sagen: Dieses musikalische Experiment ist mehr als gelungen. Friederike Haiser
Friederike Haiser
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