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Kultur: Extase bis an die Grenzen

Pianist, Dirigent und Komponist: Klavierabend des dreifach begabten Olli Mustonen

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Ob Mütter sich ihn zum Schwiegersohn wünschen würden? Jenen schlaksigen Finnen mit seiner schier unglaublichen Körpersprache, seiner wagemutigen Energie und Bravour, mit der er die Klaviatur eines Flügels an ihre Festigkeitsgrenzen zu bringen versteht. Kurzum: an Olli Mustonen, es ist kein Geheimnis, scheiden sich die Geister. Einigen ist er zu forsch in seiner Spielextase, anderen herrlich herzerfrischend in seiner kühnen Gestaltungsfantasie. Beispiel gefällig?

Kürzlich spielte er mit dem Leipziger Gewandhausorchester unter Kurt Masurs das b-Moll-Klavierkonzert von Tschaikowsky. Danach wetzte das messestädtische Feuilleton das Messer und monierte des Pianisten linienlose „Kombinationsstimmen-Archäologie“, mit der er Akzente aus dem Steinway gemeißelt habe, die kaum mehr als für den flüchtigen Aha-Effekt taugen würden. Tage später, nach dem Stuttgart-Gastspiel mit gleichem Programm, bejubelte die „Esslinger Zeitung“ eine „ungeschönte und dynamisch effektvolle Darstellung des Soloparts: Akkorde wie krachende Blöcke, Läufe wie glitzernde Rinnsale, Saitenklirren mit der tiefen Linken, kein Takt mit routinierter Gelassenheit, insgesamt ein Konzert, bestehend aus Extremzuständen von Tempo und Dynamik“.

Wohlvertraute Werke gegen den Strich zu bürsten und als ein spannungsreiches sinnliches Erlebnis vorzuführen, dürfte das Credo von Olli Mustonen sein. Denn für die Intensität seiner Auseinandersetzung mit Musik und Instrument ist er mittlerweile weltweit berühmt. Unberührt lässt er jedenfalls keinen. Wie wahr, wenn man ihn als einen „Hexenmeister von lässiger Eleganz“ bezeichnet, dessen „Virtuosität nie hohl wird, weil er strukturell denkt und die Analyse doch verführerisch umzusetzen vermag“. Wer wäre also besser geeignet als Olli Mustonen, den Saisonstart für die Nikolaisaal-Reihe „Black & White“ zu vollziehen?! Das Schwarz und Weiß der Klaviatur, die intendierte Gegensätzlichkeit im Sinne der chinesischen Weisheit von Yin und Yang - all das findet in ihm einen höchst individuellen Schmelztiegel für divergierende Gefühle, Stimmungen, Empfindungen, Visionen

Doch der 1967 in Helsinki geborene Olli Mustonen, der seinen ersten Unterricht in Klavier, Cembalo und Komposition (beim finnischen Altmeister Einojuhani Rautavaara) als Fünfjähriger erhielt, ist nicht nur ein ausdrucksintensiver Pianist mit brillanter Technik, sondern auch ein nicht minder überzeugender Dirigent, der das Helsinki Festival Orchestra gründete, Artist in Association der Tapiola Sinfonietta ist, kürzlich in der Finlandia Hall das Festkonzert der Helsinki Philharmonic zum 80. Geburtstag von Rautavaara leitete. Und ein Komponist dazu, der mit den Konventionen spielt. „Seine Musik ist keineswegs avantgardistisch und trotzdem wirkt sie neu“, meint Cellist Jan Vogler anerkennend, „weil sie wagt, sich mit vielen alten Stilmitteln zu umgeben“. Davon kündet seine Klaviersonate „Jehkin Iivana“, ursprünglich für Gitarre komponiert. Sie entführt den Hörer in die Welt finnischer Mythen und Epen. Benannt ist das Stück nach einem der letzten legendären Vertreter des traditionsreichen Runengesanges und ein Spiel-Meister auf der Kantele, der von 1843 bis 1911 lebte.

Dass das Komponieren zur Grundlage seines gleichermaßen wagemutigen wie bravourösen Klavierspiels und Dirigierens wurde, gibt Olli Mustonen gern zu. Dabei solle jedwede Aufführung die Frische einer Premiere haben, so dass Publikum und Interpret den Tonsetzer wie einen Zeitgenossen erleben. Beispielsweise Tschaikowsky, dessen „Jahreszeiten“-Zyklus er im Nikolaisaal gewiss mit aller konzentrierten Dichte und frei von pianistischer Tändelei spielen wird. Und sich auch in die Musik von Skrjabins Zwölf Etüden tief versenken dürfte, um deren Noten tollkühn auszureizen. Man muss das unbedingt hören!Peter Buske

6. November, 20 Uhr, Foyer: Black & White

Peter BuskeD

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