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Improvisation. Jörg Schüttauf war mit Kafkas „Bau“ im Schaufenster unterwegs.

© Manfred Thomas

Kultur: Fabulös

Neues im Schaufenster der Sperl-Galerie: Schüttauf las Kafkas „Bau“ vor Brekenfelds gemaltem „Bau“

Stand:

Hoch sind die Häuser der Stadt, krumm und schief dabei. Die Stadt ruht. Im Hafen aber wird gerade etwas hereingezogen, höllisch rot und gleichfalls hoch. Das Bugsierschiff für dieses Dock 1 ist ein Segler, dessen Mast aus dem Mund eines Quellgesichtes ragt. Ein Turmbau wird hereingebracht mit allerlei verschiedenen Fenstern, daraus fabulöse Wesen kriechen, schlängeln, stoßen. Eine Ecke oben fehlt, darunter bereitet ein kleiner Mann seinen Sturzflug vor. Menschen auf dem Dock, Bauarbeiter aus der Ferne sehen zu. Was für einen merkwürdigen „Bau“ hat da Malte Brekenfeld festgehalten, genauso aufregend wie „Porträt der letzten beiden kaiserlichen Ginsengelfenjäger“, die verbissenen Gesichts im grünsten Dschungel angstvoll tief im Gras versteckte Ginseng-Elfen hetzen.

Diese großformatigen Bilder sind Teil der aktuellen Ausstellung in der Schaufenster-Sperl-Galerie gleich neben dem Neuschloss, umfangreich nach Zahl von Bild und Künstler, geräumig in der Präsentation, sympathsch-vielfältig nach Handschrift und Ideenlage. Hans-Hendrik Grimmling ist wieder dabei, er lässt zwei Hufeisenzungen einander küssen, auch Moritz Götze mit seinen naiv-verspielten Sujetbildern, etwa einer Eva, die, den Apfel in der Hand, soeben ihren Badeanzug abgelegt hat, während „er“ sich im Fluss vom Mit-Biss rein badet. Nach fern fließt dieses Wasser, hin zu einer Stadt, wo vielleicht gerade dieser „Bau“ anlanden soll. Vielleicht hausen hier jene beiden Piepmätze von Mathias Melchert, die zueinander nicken und picken, als seien da zwei Stechmücken am Werk.

Nicht allein mit solchen und abstrakten Bildern lockte die Galerie am frühen Samstagabend ein zahlreiches Publikum in den vergänglichen Stelzenbau gleich neben St. Nikolai. Ein prominenter Name lockte mit: Vor der Kulisse dieser fantastisch-schönen Bilderwelt sollte der ehemalige Potsdamer Theaterschauspieler Jörg Schüttauf eine dreißigseitige Erzählung von Franz Kafka als Event zum besten geben. Kafka beschreibt in „Bau“, diesem Fragment von 1923, die Sorgen und Ängste eines unterirdischen Raubtieres mit sich selbst und der Außenwelt. Na, wenn das kein Thema ist, für jedermann! Besenkehrend schritt der Filmschauspieler von der Treppe hinab, anfangs auswendig, später mehr und mehr vom Manuskript her vortragend. Rein theatertechnisch scheint er etwas aus der Übung gekommen zu sein, ein Konzept war so wenig erkennbar wie die Einbeziehung des todgeweihten Hauses, das die Galerie beherbergt. Er stand nur und improvisierte, hier ein verlegenes Witzchen, noch eines dort, alles mehr fürs Ohr als für das Auge. Hätte er doch nur von Brekenfelds „Bau“ Kenntnis gehabt, was wäre da nicht alles zu zeigen und zu erspielen gewesen. Aber wie das so ist, ein echter Promi kriegt in allen Lebenslagen Beifall. Ein heiliges „Silencium!“ gegen die allgemeine Unruhe freilich wäre segensreich gewesen.

Zurück zu den Werken. Hier steht Genrebild neben der Abstraktion, Verspieltheit neben dem philosophelnden Ansatz, Stilisierung neben Konstruktion, künstlerische Anleihe neben dem absoluten Unikat. Ein Narr, wer hier nach Schubladen kramte. Niemandem kommt hier nichts zu nahe, es sei denn, es gehörte zusammen, wie Stephan Veltens gelbdurch-flutetes Triptychon „Lichter Tag“, der voller Unschärfen ist. Dieter Zimmermann ist mit seltsam gerahmten Wimmelbildern wie „Die Auswanderer“ vertreten, darin fliegen nicht nur Ballons in die Höh, sondern auch kleine Himmelsleitern! Mona Höke setzt schwere Segel auf grauem Grund, als Versuch einer Abstraktion, Hans Scheuerecker will mit überlagerten, tief dimensionierten Bildstrukturen beweisen, dass die Schönheit „eine Mörderin“ sei. Die Empore der Galerie ist mehr dem Schmunzeln reserviert. Rainer Sperl kreiert hier nackte Grenadiere, einen Ganoven mit Waschbrett-Bauch und anderes „Sperlzeug“, Wolf-Dieter Pfennig macht dem Hasen lange Ohren, der nackten Goldmaid aber Haaresträuben, als ihr Held dem Untier einen Finger in den Rachen hält. Dies alles, und noch mehr, gehört zu einem Haus, zu einem Thema, dem „Bau“ – ein fremdartiger Turm mit giftig-süßem Leben.

Die Schaufenster-Sperl-Galerie in der Friedrich-Ebert-Straße 4 ist Mi, Do und Sa von 13 bis 18 Uhr geöffnet

Gerold Paul

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