Kultur: Fallende Menschen
Bemerkenswerte Vernissage im KunstWerk: Zwei Bulgaren stellen ihre Arbeiten aus
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Bemerkenswerte Vernissage im KunstWerk: Zwei Bulgaren stellen ihre Arbeiten aus Von Gerold Paul Begegnungen mit „Andersdenkenden“ sind allemal gut, auch in der Kunst, wo sich Geist im Stofflichen stets wiederfindet. Am Freitag gab es im KunstWerk eine bemerkenswerte Vernissage dieser Art: Zwei Bulgaren stellten ihre Arbeiten – Malerei, Holz, Grafik und Installation – unter dem Thema „cut“ der kunstinteressierten Öffentlichkeit Potsdams vor. Veselin Mitev und Venelin Shurelov haben nicht nur ähnliche Vornamen, beide sind auch 1977 geboren, studierte „Holzbearbeiter“ und gehören zudem der Künstlergruppe VIA PONTICA an. Diese veranstaltet im bulgarischen Jasna Polana regelmäßig „Symposien für Plastische und Visuelle Kunst“, mit internationaler Beteiligung. „cut“ selbst bezieht sich auf die Art, wie man dem Material durch Entfernung des Überzähligen Ausdruck verleiht, man schneidet die Form hinein, oder heraus, in der Xylographie wie bei der Graphik. Auch ästhetisch sind die beiden Nachbarn, wenigstens soweit es das Holz betrifft. In zwei der drei Räumen findet man zahlreiche Arbeiten beider Künstler, kleinformatige Blöcke mit oft archaischen Motiven, teils bronzen koloriert, teils farbig bemalt. Glagolische Buchstaben etwa, nach dem alten bulgarischen Alphabet, Pegasus, Schmetterling und ein Falke mit Heiligenschein (Mitev), von Shurelov zum Beispiel „Wir“, einem Werk aus Holz in drei Ebenen. Shurelov gehört auch der zweite Ausstellungsraum des KunstWerk, wo man, ganz im Bewusstsein der Zeit, zwei Zyklen erlebt: „Leerer Schein nach draußen“ besteht aus 28 kolorierten Graphiken nach Holzschnitten im Mini-Format, „Fiktion“ ist die existentielle Installation des „von oben“ gefallenen Menschen, in Stoff gefertigt. An der Decke befestigt, geht man durch sie hindurch wie durch Geäst im Walde. Jede Figur hält eine Art abgedecktes Diapositiv fest, Erinnerung an die früher entstandene Performance „Radiant Wilderness Beyond“. Oder an das Paradies. Ästhetische Besonderheit Shurelovs: Seine Figuren haben üppig verlängerte Extremitäten, darin sie sich manchmal krakig selber verfangen. Brückenwege, Brückenschlagen, diese existentiell angelegte Ausstellung hat einiges davon, sie weiß sich zwischen Moderne und Volkstradition, zwischen Artifiziellem und Kunst-Handwerk, zwischen Geschichte und Gegenwart, sie ist archetypisch und demnach ganz zeitgemäß. Grobe Holzplanken („Dem Roten nach“) sind oft seitlich genagelt, man findet zeichenbehauenen Stein („Bogomolsko“) neben „Fragmenten eines Hauses“ (beides Mitev), dessen Grundriss aus Kordel auf farbigem Sand gefertigt ist. Relikte von einst? Der obere Raum enthält neben weiterem Schnitzwerk – Fülle mag hier vielleicht den Formwillen erschöpfen – auch bildende Kunst. Venelin Shurelov zeigt einen „Triptychon auf Rot“ und das beeindruckende „Innerhalb eines Felsens“, was an die Figur der Niobe erinnert. Tatsächlich, in dieser Ausstellung vergisst man fast die Zeit, oder das Zeitliche. Beeindruckend. Archaische Zeichen findet man beim Wolf, der gewitzt durch seine Beine schaut, im wiederkehrenden Motiv der geringelten Schlange in einer Pupille des Auges, das über den Rand des Grundrisses hinausreicht. Geometrie des geheimnisvollen Seins im Dreieck, „Zwischen Tag und Nacht“, in der liegenden Mondsichel. Existenz und Spiritualität, wie bei VIA PONTICA ausdrücklich erwünscht, erfährt man in dieser Verkaufsausstellung genug, denn wer sich in die Geschichte vertieft, kommt immer bei der Gegenwart an. Mitev, der im Jahr 2000 schon auf dem Potsdamer Pfingstberg ausstellte, demonstrierte das auch, als er zur Vernissage uralte Weisen auf der Gaida blies, dem bulgarischen Dudelsack. Einziges Manko: das KunstWerk war schrecklich verräuchert. Ausstellungsdauer bis zum 28. März, Di. - So. 15 - 19 Uhr.
Gerold Paul
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