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Kultur: Familienbande

Judka Strittmatter las aus „Die Schwestern“

Stand:

Familie hat man, ob man nun will oder nicht. Aussuchen kann man sich nur, wie man sich zu ihr stellt. Der eine braucht sie und klammert, ein anderer hält sie sich tunlichst vom Halse. Kann eine solche Sippe dann auch noch mit einer Berühmtheit aufwarten, dann gute Nacht, das ätzt bis ins dritte Glied!

Von Opa Erwin aus gesehen, ist Judka Strittmatter jenes besagte Glied, und sie tut in ihrem Erstlingsroman „Die Schwestern“ fast so, als ob die elterlich-großelterliche Vergangenheit Schuld an ihrem eigenen Tagesdilemma sei. „Es musste einfach raus“, sagte die temperamentvolle Autorin bei der sonntäglichen Matinee in der Villa Schöningen, zugleich immer wieder betonend, dass es sich um einen Roman handele. Voll war es wieder im Leseraum, laut auch wieder, weil das Haus seinen Betrieb bei so einer Veranstaltung eben nicht unterbricht, den Rest zum Ambiente gaben die monströsen Bilder von Georg Baselitz dazu, große und kleine Onanisten. Eine seltsame Mischung.

Worum geht es in diesem Kolportage-Roman? Die längst erwachsenen Schwestern Martha und Johanna fahren mit dem Auto von Berlin in ein ehemaliges DDR-Devisenhotel an die Ostsee, wo sie Kindheit und sonstiges Vergangenheitsgeflimmer aufarbeiten wollen, doch dieses überrollt sie beinahe. Es geht um das Verhältnis von Schwester und Schwester, um ganz extrem lieblose Eltern, um den Familienmuffel Kurt – das ist der mit dem Ruhm – um die Stasi, um Esther. Und um ein paar Pfund DDR-Alltag zuviel. „Die Schwestern“ ist nicht nur der erste Roman der Journalistin Judka Strittmatter, am Sonntag war auch ihre allererste öffentliche Lesung. Das mag erklären, warum sie in der gut einen Stunde eher horizontal als diagonal las, so dass man vom ruhmreichen Onkel, einem begnadeten und hofierten Schauspieler, kaum etwas zu hören bekam. Dafür verlor sich die charmante Autorin in einer Fülle von Beobachtungen und Erinnerungen an DDR-Platte, Schrebergärten und Käsekuchen. Ihre Sprache ist lebendig, ihr memorierender Geist ist sehr wach, aber sie ist nicht erfahren im Bau eines Romans, dessen innere Struktur diese Lesung leider nicht erschloss. Zumindest hatte man den Eindruck, als habe es Judka Strittmatter nicht so mit dem Ausgleich. Völlig einseitig scheint das Schwesternpaar angelegt, Martha weltläufig und im Geiste beweglich, Johanna eher das Gegenteil. Auch ihre Eltern werden von Anfang an so negativ gezeichnet, dass da kaum eine Chance auf Besserung, geschweige Verständnis besteht. Warum waren die eigentlich so?

Onkel Kurtchen, auf den alle warteten, kam bei der Lesung fast gar nicht zum Zuge. Warum im Jahr 22 nach der Wende irgendein Hotelchef und Stasi-Fatzke so ein dramaturgisches Gewicht bekommen muss, war nicht ganz einzusehen. Sollte hier, neben einer Familien-Saga, die gesamte DDR-Vergangenheit gleich noch mit bewältigt werden? Und an wem mochte es wohl liegen, wenn sich die gut 40-jährige Martha in „Die Schwestern“ ihren Eltern gegenüber „wie eine Vierjährige“ benimmt? So jedenfalls kommt man weder in seine Familie hinein, noch wird man sie dauerhaft los, ob nun Roman oder nicht. Doch wie es auch sei, ob des ungebremsten Interesses am Hause Strittmatter werden auch „Die Schwestern“ bald ihre Leserschaft finden. Bis ins dritte Glied eben. Gerold Paul

Judka Strittmatter: Die Schwestern, Aufbau Verlag, Berlin 2012, 19,99 Euro

Gerold Paul

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