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Kultur: Fantasiereiche Fantasie-Lektionen

Orgelkonzert mit Andreas Zacher in St. Peter und Paul

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Orgelkonzert mit Andreas Zacher in St. Peter und Paul Von der landläufig verbreiteten Vorstellung, bei der musikalischen Fantasie handele es sich um ein weitschweifendes, ungebundenes, improvisationsähnliches, die Form missachtendes Stück, muss man sich beim Orgelkonzert mit Andreas Zacher in der Propsteikirche St. Peter und Paul zunächst einmal frei machen. Seine verdienstvolle Klangexkursion am Dienstag steht unter dem Motto „Quasi una fantasia“ und bringt Orgelfantasien aus fünf Jahrhunderten zu Gehör. So ganz nebenbei erfährt man dabei, wie sich die Fantasie-Form aus streng kontrapunktischem Aufbau zur mehrteiligen Liedform, zur weitläufigen lyrischen Schilderung entwickelte. Den „Vortrag“ in Formenlehre beginnt er mit der Fantasia chromatica von Jan Pieterszoon Sweelinck (1562-1621), die von handfester kontrapunktischer Arbeit bestimmt ist. Ruhig im Metrum und schlicht im Ausdruck strömt sie breit dahin. Doch alsbald verliert sich die Strenge und weicht weichgetönten pastoralen Stimmungen, hervorgerufen durch sanfte Registerstimmen. Immer kleiner werdende Notenwerte verleihen dem Stück Lebendigkeit und Frische. Langsam zieht das Tempo an. Andreas Zachers ist stilistisch in der richtigen Spur, sein Spiel voller spannungssteigernder Phrasierung. Johann Sebastian Bachs Fantasie und Fuge g-Moll BWV 542 zeigt sich zunächst ganz von ihrer toccatenhaften, hymnische Wirkungen erzeugende Seite, um dann in freier rezitativischer „Rede“ fortzufahren. Die harmonischen Überraschungen, zu ihrer Zeit sehr kühn, bringt der Organist kraftvollen Zugriffs im vollen Orgelwerk eindrucksvoll zur Geltung. Die Fuge endet voll des festlichen Glanzes. Wolfgang Amadeus Mozart, so lässt uns Andreas Zacher wenig später wissen, hat die Fantasie (f-Moll KV 608) noch als ein streng geflochtenes, kontrapunktisches Netzwerk aufgefasst, dabei mit Fugenzutaten nicht sparend. In ihrem strengen Harmonieverlauf ist sie, was die akkordischen Allegrosätze betrifft, stark von JSB geprägt. Im Principalregister rauschen sie auf. Für den langsamen, liedhaften Mittelsatz erwählt sich Zacher Zungenregister. Sie bürgen für einen flötenlieblichen Gesang. Doch nun beginnt sich das Fantasie-Bild zu ändern. Am chronologischen Ende, jedoch in der „Vortrags“-mitte steht die Fantasie von Jehan Alain (1911-1940), in der sich die Form aufschwingt, sich ihrer tonsetzerischen Fesseln zu entledigen. Es entstehen Akkordblöcke, wie von chromatischen Klangwellen umbrandet. Wahrlich fantasierend hebt nun ein reizvolles Spiel mit Farben und Dynamik an: vom Leisen kommend, ins Leise entschwindend. Auch der Spätromantiker Max Reger (1873-1916) greift in seiner Phantasie und Fuge über BACH op. 46 zur freien und weitschweifenden Form, jedoch nicht so rigoros wie Alain. Aufrauschend, principalscharf und ausufernd errichtet sich im vollen Orgelwerk ein monumentaler Klangbau. Abrupt fällt er ins Leise (Echo- und Schwellwerk), um sogleich wie ein Phönix aus der Asche ins Leidenschaftliche aufzusteigen. Das gleicht dem romantischen Lebensprinzip des Himmelhochjauchenden und zu Tode Betrübtseins – Zacher breitet es fantastisch und fantasievoll aus. Ganz leise und langsam heben in der Fuge die Meditationen über b-a-c-h an. Sie werden allmählich lauter und schneller, gewinnen sich eindringliche Beredsamkeit. Zachers vorzügliche Kunst der Artikulation verleiht den musikalischen Gedanken prägnante Wendungen. Strahlkräftig und lohengringleich endet das Werk in Glanz und Wonne – gleichsam mit hohem Tenor-C. Der überzeugend konzipierten Einstundenlektion fällt herzlichster Beifall zu.Peter Buske

Peter Buske

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