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Kultur: Fantasiesprudelnder Advent

Die Kammerakademie mit apartem Programm im Schlosstheater

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Die Kammerakademie mit apartem Programm im Schlosstheater Von Sonja Lenz Drinnen sieht es viel winterlicher aus als draußen. Die Kammerakademie hat ein Dia an die Bühnenrückwand des Schlosstheaters projiziert. Darauf liegt Sanssouci unter einer dichten Schneedecke. Bäume, Wege und Schloss – alles weiß verhüllt. Was soll man nun erwarten vom Adventskonzert? Fröstelige Barockmusik in steifen Interpretationen? Nein, genau das Gegenteil. Die Musiker entfachen vor der kühlen Kulisse ein prasselndes Kaminfeuer. Sie spielen mit flammendem Temperament geradezu gegen den Winter an. Gleich die lebhafte Eröffnung: Wie wild schnurren die Nähmaschinenläufe mit dem Nadelstich-Staccato in Johann Friedrich Faschs Ouvertüre. Wie schmucke Intarsien sind die Wechselspiele zwischen zwei Oboisten und zwei Fagottisten in den ersten Satz eingelegt. Turbulent und fantasiesprudelnd geht es in Faschs Werk zu. Man staunt geradezu über diesen Buttelstädter, der sich vom kompositorischen Autodidakten leichtfüßig zum Hofkapellmeister in Zerbst aufgeschwungen hat. Für ein reges künstlerisches Leben sorgte er in der kleinen Residenz. Und nebenbei legte er den Grundstein für die Erziehung seines berühmteren Sohns, des späteren Berliner Sing-Akademie-Gründers Christian Friedrich Carl Fasch. Der Komponist verlangt beachtliche Fingerfertigkeit von den Musikern. Kein Problem. Die Kammerakademie nimmt die Herausforderung entschlossen an. Es gibt aber auch einen wunderbaren Ruhepunkt: die „Aria andante piano“ mit ihren weit ausschwingenden Fagott-Melodien über der schwerelosen Pizzicato-Begleitung. Sergio Azzolini, der Künstlerischer Leiter und Fagottist des Orchesters, gestaltet sie einfühlsam aus. Apart, dieses Programm. Fernab von den üblichen Weihnachtsoratorien und dem traditionellen Weihnachtsliedersingen haben die Musiker für ihr Adventskonzert hübsche und spannende Raritäten aus dem 18. Jahrhundert aufgespürt. Die Komponisten Fasch, Benda und Telemann wetteifern im ausverkauften Schlosstheater um die Gunst des Publikums. Wer nun aber denkt, der Bekannteste unter ihnen würde aus dem kleinen Konzertwettstreit als meistbeklatschter Sieger hervorgehen, täuscht sich. Nicht, dass Telemanns gefälliges und virtuoses Konzert nicht gefallen würde. Schließlich legen sich Jan-Peter Kuschel für die Cello-Raserei im ersten Satz, Giovanni de Angeli und Jan Böttcher für die schmelzenden Oboe d’amore-Kantilenen im „Dolce“ gehörig ins Zeug. Und doch – neben der fantasievollen, abwechslungsreichen, mit allen musikalischen Wassern gewaschenen Ouvertüre von Fasch kann sein Konzert nur schwer bestehen. Auch der um eine Generation jüngere Franz Benda sticht den guten, alten Telemann an diesem speziellen Abend aus. Lange hat er im Dienst von Friedrich dem Großen gestanden. Obwohl er aus Böhmen stammte, galt er als einer der größten deutschen Geiger. Für sein kantables Spiel war er berühmt. Burney und Schubart berichteten von Konzerten, in denen die Zuhörer zu Tränen gerührt waren. „Sangbar zu schreiben“ bezeichnete er auch in seinem Lebensbericht als Ideal. Peter Rainer, der Konzertmeister der Kammerakademie, nimmt sich Bendas Maxime zu Herzen. Als Solist im Violinkonzert D-Dur stimmt er einen raffinierten Saitengesang an. Auch die brillanten Passagen – oder um im Bild zu bleiben: die haarsträubenden Koloraturen – lässt er nie im virtuosen Leerlauf versanden. Das Orchester spielt, wie den ganzen Abend schon, mit rhythmischem Schwung. Rainer legt seine sensible Nervenmusik, seinen lustvollen, melodieseligen Sprint darüber. Vor allem für seine langsamen Sätze wurde Franz Benda bewundert. Hingebungsvoll tritt Peter Rainer in seine Fußstapfen. Im traumverlorenen Largo agiert er als farbenreich modulierender Vorsänger seiner Orchestergemeinde. Daneben hat selbst der enegiegeladene Fagottist Sergio Azzolini einen schweren Stand. In Faschs Concerto singt er quasi nachträglich mit Benda und Rainer um die Wette. Er gestaltet die kleinen und großen Melodiebögen mit Witz und Inbrunst, stachelt auch seine beiden Oboen-Kollegen mächtig an. Das Publikum lässt sich den letzten Satz als Zugabe gern noch einmal gefallen. Und wenn die Schneedecke auf dem winterlichen Dia die Chance gehabt hätte – sie wäre gut und gern um ein paar Zentimeter geschmolzen.

Sonja Lenz

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