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Tusch, Rauch, Gebüsch. Das Berliner Hexenkessel Hoftheater hat mit Voltaires „Candide“ das Heckentheater am Neuen Palais wiedereröffnet.

©  Bernd Schöneberger

Kultur: Fantastisches Spiel

Das Hexenkessel Hoftheater aus Berlin eröffnete mit „Candide“ das Heckentheater am Neuen Palais

Stand:

Eigentlich ist es ja bloß ein grüner Rasenhügel, der seitlich von je sieben Reihen kurzgeschnittener Hecken aus Hainbuchen eingefasst ist. Dahinter ragen uralte Buchen hoch in den Abendhimmel. Ein Laubengang aus Linden umgibt den Platz davor, auf dem rund 200 Gartenstühle stehen. Doch je dunkler die Nacht wird, umso magischer wirkt der Ort. Was für eine Szenerie! Für die Wiedereröffnung des friderizianischen Heckentheater am Westrand des Neuen Palais in Sanssouci hätte es kein passenderes Stück geben können, als Voltaires visionäre Roman-Satire „Candide“, die mit den Worten endet: „Man muss seinen Garten bestellen“.

Diesem schlichten Rat eines Philosophen der Vernunft lässt sich wohl kaum widersprechen. Nicht einmal Friedrich der Große, der durchaus nicht immer einer Meinung mit Voltaire war. Doch auf den Denker und Schriftsteller ließ er nichts kommen. Zwar wurde Voltaires anonym publizierter „Candide“ gleich nach seinem Erscheinen in Genf und Paris, Leipzig und Rom verboten. Jedoch nicht in Preußen, wo nach der ersten deutschen Übersetzung (1761) im Jahr 1778 eine Prachtausgabe mit Kupferstichen von Daniel Chodowiecki erschien. Friedrich II kannte den „Candide“ gut. Noch in seinen letzten Lebensjahren in Sanssouci ließ er sich daraus vorlesen. Einer seiner zahlreichen Briefe an Voltaire endet mit dem Zitat „Adieu, bestellen Sie ihren Garten, denn es gibt nichts weiseres.“ (1766).

Wie recht der König der Philosophen und der Philosophen-König wenigstens in diesem Punkt beide hatten, zeigt sich jetzt am Heckentheater, einem Bijou friderizianischer Gartenkunst, für dessen Wiederherstellung wesentlich dem Verein der Preußischen Schlösser und Gärten zu danken ist. Als gelungener Coup kann auch das Engagement des Hexenkessel Hoftheaters aus Berlin gelten, das aus Voltaires langschweifiger Erzählung ein höchst vergnügliches, intelligentes und bewegendes Theaterstück im Stil der comedia dell’arte gemacht hat. Großartig schon die ersten Szenen: Tusch, Rauch, zehn weiß gekleidete Schauspieler in Pierrot-Kostümen stürmen die grüne Bühne, verwandeln sich in Statuen wie die im Park von Sanssouci. Ein hagerer Mensch im Nachtgewand taucht auf, es ist Voltaire, nicht im höfischen Gewand und mit Allonge-Perücke, sondern mager und kahlköpfig, so wie er im Alter vom Bildhauer Houdon verewigt wurde. In seinem Prolog redet er „von Dramatiker zu Dramatiker“ den großen König an, beschwört den genius loci und die große Tradition des französischen Theaters. Wie durch einen Zauber werden aus den Statuen lebendige Menschen, die nun vorführen, was einst dem Kopf von Voltaire entsprungen ist.

Der naive Candide, illegitimer Spross eines westfälischen Adelsgeschlechts, glaubt fest daran, dass dies die beste aller möglichen Welten ist, so wie es ihm sein Lehrer Pangloss beigebracht hat. Noch mehr aber hält ihn die Liebe zum Adelsfräulein Cunegonde, verführerisch gespielt von Sara Löffler, aufrecht, die er nach seinem Rausschmiss aus Schloss Donnerstrunkhausen verloren glaubt. Bei seiner Reise durch die Alte und die Neue Welt erlebt der kindliche Held, wunderbar gespielt von Thorbjörn Björnsen, ein Panorama des Grauens und der Laster. Naturkatastrophen wie das Erdbeben von Lissabon, menschengemachte Vergehen und Verbrechen – nichts wird bei dieser Tour de force durch alle denkbaren Schlechtigkeiten ausgelassen. Dennoch kann der salbadernde Scholastiker Pangloss (Michael Schwager, der auch Voltaire spielt) jeder Katastrophe etwas Sinnvolles abgewinnen. Die alte Frau, eine mit allen Wassern gewaschene Hexe, grandios von Anja Pahl gespielt, hat sich längst mit allen Übeln abgefunden. Dagegen bejammert Martino (Christoph Bernhard), der traurigste Mann die Schlechtigkeit der Welt und erweist sich als Marionette – ein kluger Regieeinfall von vielen.

Was Regisseur Alberto Fortuzzi geschaffen hat, kann nur bewundert werden. Aus Voltaires bisweilen trockener, gelegentlich zynisch-kalter Rundum-Desillusionierung wird im Spiel der Hexenkessel-Schauspieler ein komödiantisches Welttheater, das erheitert und versöhnt. Kabarettistische Anspielungen aus der Gegenwart zeigen die zeitlose Gültigkeit des Textes, wobei die ganz großen Themen, anders als bei Voltaire nicht vorkommen. Groß ausgespielt wird die Eldorado-Episode. Hier im Wunderland der Gaukler, wo alle zufrieden leben, herrscht die reine Utopie. Da darf der König sogar vier „geheime Regeln zum wahren Glücklichsein“ mitteilen, schlicht-moralische Grundsätze für alle. An dieser Stelle schweift das Stück am meisten von der Voltaireschen Textvorlage ab und setzt auf direkte Publikumsansprache. Man könnte es auch als unmittelbare Übertragung der Voltaireschen Botschaft in das Medium der Commedia dell’arte bezeichnen. Von den durchweg glänzenden Schauspielern sei vor allem die kleine, wendige, anrührende Ina Herz genannt. Oleg Nehls und Arnaud Duvoux setzen an Akkordeon, Klarinette und Schlagwerk mitreißende Akzente. Wunderbare Kostüme und Masken vervollständigen das fantastische Spiel im grünen Salon des Heckentheaters von Sanssouci.

Wieder am heutigen Dienstag und morgigen Mittwoch, jeweils 20 Uhr. Der Eintritt kostet 20 Euro

Babette Kaiserkern

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