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Kultur: Farbenprächtiger Fabulierer

Orgelsommer-Konzert mit Gerard Gillen in der Friedenskirche

Stand:

Stärker als in den vergangenen Jahren bestimmt in der diesjährigen Orgelsommer-Saison das verwendete Instrument die Programmgestaltung. Da die Schuke-Orgel in der Erlöserkirche generalüberholt wird, finden die ersten vier Konzerte an der Woehl-Orgel in der Friedenskirche statt. Und die ist mit ihrer französischen Disposition für die Wiedergabe frankophoner Klänge prädestiniert. Was den irischen Organisten Gerard Gillen bewog, mit einer anspruchsvollen Werkzusammenstellung französischen Herkommens aufzuwarten. Dies fiel ihm leicht, da er über ein Faible für“s Französische verfügt. Bereits 2003 konnten wir es in der Erlöserkirche erleben. Diesmal ließ er einen Bach-Leuchtturm von einer romantisch aufgewühlten Klangbrandung umspülen.

Mit einer Bearbeitung der Sinfonia aus der Bachschen Ratswahl-Kantate „Wir danken die, Gott, wir danken dir“ BWV 29 von Marcel Dupré (1886-1971) begann die Reise aufs offene Meer. Wie schön, dass der festliche Duktus des Originals auch auf der Orgel farbenprächtig und tempozügig erklang. Es schien, als fühlte sich der Titularorganist an der Kathedrale von Dublin gerade von den klangvoluminösen Möglichkeiten der Woehl-Orgel zu passenden Spiel- und Registriermöglichkeiten gehörig herausgefordert. Um die Ausdruckstiefe des gefühlssinnigen Bach-Chorals „Komm, heiliger Geist“ BWV 652 den aufmerksamen Zuhörern (die endlich wieder alle mit Blickrichtung zum Altar saßen!) nahe zu bringen, wählte er weiche Zungenstimmen. Zusammen mit dem schwachen Tremulant floss der Melodienstrom ruhig und beruhigend dahin. Für jede einzelne, reizvoll variierte Strophe zog er Register, die die menschliche Stimme zu imitieren verstanden.

Zunächst durchgängig meditativ zeigte sich der Choral Nr. 2 h-Moll von César Franck (1822-1890), der in seinem Aufbau einer Chaconne gleicht, in seiner selbst erfundenen Melodie weder mit der Gregorianik noch dem deutschen Kirchenlied etwas zu tun hat. Unter Einsatz von Crescendowalze und Schwellwerk gewann sich das Stück unter Gerard Gilbens Klangvorstellungen innere Unruhe, ausbrechende Leidenschaft, packende Intensität, akkordische Bekräftigungen. Dem „Rückfall“ in die Beruhigung und Seelenerbauung folgte in scharf klingenden Registern eine erneute Steigerung der Lautstärke. Mit Hilfe der menschlichen Stimme fällt der Choral zum Schluss in seine mystische Grundhaltung zurück. Diese durchzieht auch das uvre von Dupré-Schüler Olivier Messiaen (1908-1992), das dem diesjährigen Orgelsommer sein Profil verleiht. Aus „Livre du Saint Sacrement“ erklangen Gebete vor und nach der Kommunion: in ersterem schienen dissonantengeschichtete Akkordblöcke in ätherischen Regionen zu schweben, im zweiten sorgten celestaartige Soloregister über waberndem Pedalsolo für schwerelose Entrückung. Als grell klingendes Abbild eines disparaten, zerklüfteten Jetzt zeigte sich „Die vielfache Gegenwart“. Erfreulicher, weil voll des spätromantischen Klangzaubers tönten die letzten drei Sätze aus der 6. Orgelsinfonie von Charles-Marie Widor (1844-1937), deren sinfonische Anlage der Organist mit kammermusikalischer Delikatesse unangestrengt und bedeutungsvoll, aber nicht -schwanger spielte. Das vorletzte Orgelsommerkonzert, in der Erlöserkirche, liefert dann die Anfangssätze nach – und noch einmal das festliche, majestätisch aufrauschende Final-Vivace. Ihm folgte viel Beifall.

Peter Buske

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