zum Hauptinhalt

Kultur: Farblose romantische Sachlichkeit Neues Kammerorchester Potsdam im Nikolaisaal

Was zwei Hamburger Jungs, die auf die Namen Johannes Brahms und Felix Mendelssohn Bartholdy hören, gemeinsam haben? In reiferen Jahren schufen sie romantische Klangwerke, die dem 3.

Stand:

Was zwei Hamburger Jungs, die auf die Namen Johannes Brahms und Felix Mendelssohn Bartholdy hören, gemeinsam haben? In reiferen Jahren schufen sie romantische Klangwerke, die dem 3. Sinfoniekonzert des Neuen Kammerorchesters Potsdam unter Leitung von Ud Joffe am Donnerstag im Nikolaisaal als Motto dienten: „Klänge der Romantik“. Doch würden sie, die nach einem voluminösen, gefühlvollen und warmen Orchestersound verlangen, durch einen kleinbesetzten Klangkörper zu gebührender Wirkung kommen können? Für Brahms’ Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll op. 15, einem Instrumentalkonzert in sinfonischer Verzahnung, das am Beginn des Abends steht, sicherlich ein gewagtes Unterfangen. Den enormen Werkanforderungen mit nur sieben ersten Geigen, drei Celli, vier Bratschen und einem Kontrabass (ein anderer Kontrabassist musste aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig absagen) entsprechen zu wollen, scheint fast unmöglich. Oder tollkühn. Zum mageren Streicherfundament gesellen sich ein wohlklingender doppelter Bläsersatz und ein großartiges Hörnerquartett, das seine Aufgaben ohne Fehl und Tadel absolviert.

Um die erforderliche Klangmasse erzeugen zu können, sind die Streicher zu kraftvollen Bogenstricharbeiten angehalten. Dass dabei mitunter zu viel Druck im Kessel herrscht, gehört nicht unbedingt zu den positiven Höreindrücken. Genauso wenig wie des Dirigenten Vorliebe für eine analytische, weitgehend rational geprägte Werkdeutung und forcierte Fortissimo-Ausbrüche. Aus der Not eine Tugend machend, betont Ud Joffe weitgehend das Herbe und Trotzige, sucht mit energischem Zugriff die dem Werk innewohnende Energie zu erzeugen und hemmungslos in den Saal zu schleudern.

Ganz auf dieser eruptiven Linie bewegt sich auch der kanadische, in Hongkong geborene 28-jährige Pianist Avan Yu. Klar und nüchtern ist sein Anschlag, modern sachlich sein Tastatieren. Kraftdonnern kann er, Nonlegato auch. Geschmeidigkeit hört sich jedoch anders an. Sein jugendliches Ungestüm kann er im finalen Rondo mit brillanten Läufen, rasanten Trillerketten und Klangkaskaden erneut unter Beweis stellen. An Ausdrucks-

intensität hätte er hier wie auch im voraufgegangenen Adagio noch zulegen können. Und wie schön wäre es gewesen, wenn er bei aller technischen Bravour auch Zwischenfarben, das Funkeln und Leuchten etwas mehr betont hätte. So wie in der ganz verinnerlicht und fantasievoll gespielten Zugabe des Brahms-Intermezzo op. 119 Nr.2.

Auch bei der überaus spannungsreichen Deutung von Mendelssohn Bartholdys Sinfonie Nr. 3 a-Moll op. 56 „Schottische“ erzeugen die Musiker schier überbordende Leidenschaften, in die sie sich aus düsterem, drängendem und unruhevoll musiziertem Übergang von Andante-Einleitung ins furiose Allegro stürzen. Hellgetönt und transparent, weitgehend spröde klingt, was von Land, Leuten und Historie Schottlands kündet. Getragen und fast nur im Mezzoforte gespielt: Und schon erblüht die Musik in warmen Farben. Sie verblassen, wenn das Geschehen sich zuerst ins Energiesprühende, dann in den majestätischen Finalhymnus wendet. Danach spart das Publikum nicht mit lautstarkem Beifall, auch wenn die Klänge der Romantik noch so manches Geheimnis für sich behalten haben. Kein Geheimnis ist dagegen, dass das Kammerorchester mit den verfügbaren finanziellen und künstlerischen Mitteln nicht alles überzeugend spielen kann, was es gern möchte. Beim Mendelssohn hat es funktioniert, beim Brahms hat man leider auf's falsche, weil so nicht zähmbare Programm-„Pferd“ gesetzt. Doch aus Erfahrung wird man bekanntlich klüger. Peter Buske

Peter Buske

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })