Kultur: Fast ein deutscher Dickens
Eduard Bertz – Ein Memento zum 75. Todestag des Potsdamer Schriftstellers
Stand:
„Ein Dichter ersten Ranges, mit dem Zeug zum deutschen Dickens“: So wird der Romanerstling „Glück und Glas“ des Schriftstellers Eduard Bertz gelobt. Geboren ist der vor 75 Jahren verstorbene Autor am 8. März 1853 in Potsdam. Während seines Kameralistik-Studiums in Leipzig ging er als einjährig-freiwilliger Philosophiestudent ab 1876 nach Tübingen; sein dort spielender Roman „Glück und Glas“ von 1891 zeigt die Konflikte des Helden zwischen politischem Engagement und metaphysischen Bedürfnissen. 1877 hat ein Artikel in der Berliner Freien Presse einschneidende Konsequenzen: Wegen angeblicher Beleidigung des Militärs wird Bertz zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt, doch hat er sich bereits zuvor nach Paris abgesetzt.
Jahre einer nomadischen Existenz beginnen: Anfang 1879 ist er in London als Lehrer und Rezensent tätig und befreundet sich mit dem Schriftsteller George Gissing. Von 1881 bis 1883 lebt er in einer Agrarkolonie in Rugby, Tennessee, wo er eine Bibliothek aufbaut. Die Hintergründe dieser Episode fiktionalisiert er in seinem zweiten Roman „Das Sabinergut“ (1896). Mit einer begonnenen Montesquieu-Übersetzung im Gepäck, die 1885 als „Persische Briefe“erscheint, kehrt Bertz nach London zurück und veröffentlicht dort „The French Prisoners. A Story for Boys“ (1884) aus der Zeit des Deutsch-Französischen Krieges. Ab Ostern 1884 lebt er wieder in Deutschland. 1890 erhält er die Bürgerrechte zurück. Als „stillvergnügter Bücherwurm“ sucht er in der Brandenburgia-Gesellschaft „geistige Fühlung mit denen, die den Spuren der Vergangenheit mit lebendigem Interesse nachforschen.“ Arbeiten wie „Das heimische Naturleben“ und „Geschichte der Potsdamer Havelfischerei“ entstehen (beide noch zu finden), ebenso ein Märchen über die Thetis-Skulptur in Sanssouci. Ab 1898 engagiert sich Bertz für Magnus Hirschfelds Wissenschaftlich-humanitäres Komitee. 1903 lässt er sich bis zum Lebensende in der Potsdamer Waisenstraße, heute Dortustraße, nieder.
Seine Nervosität und Neigung zur Hypochondrie behindern ihn nicht in der schriftstellerischen Produktivität. 1900 erscheint die Philosophie des Fahrrads. Im Roman „Der blinde Eros“ (1901) lesen wir vom Kampf eines Mannes zwischen ungeliebtem Lehrerberuf und ersehntem philosophischen Schreiben. Bald nimmt Bertz Stellung zum amerikanischen Dichter Walt Whitman mit „Walt Whitman. Ein Charakterbild“, „Der Yankee-Heiland“ und „Whitman-Mysterien“. Von dessen Werk bleibt er fasziniert, nicht länger aber von der Person. Nach jahrelangen Studien kommt als letzte Buchveröffentlichung seine zweibändige „Ethik“ heraus: als „Die Weltharmonie“ und „Harmonische Bildung“. Kritiker betonen Bertz“ Belesenheit und Leistung. Kleinere Artikel, Rezensionen und Übersetzungen sowie Vorträge folgen bis 1914; die letzte Publikation erscheint 1922. Am 10. Dezember 1931 stirbt Bertz in Potsdam.
Kennzeichnend für sein Werk sind zum einen die engen Bezüge zwischen seinen Romanen und dem, was über ihn selbst bekannt ist. Zum anderen ist es der erzieherisch-aufklärerische Impetus, dem wir auf verschiedenen Ebenen begegnen: politisch, christlich, journalistisch, kulturhistorisch-philosophisch, sexualpolitisch.
Er schwankt zwischen idealistischem Aufbruch und realistischem Abbruch nach Phasen der Resignation und Erschöpfung. Illusion und Desillusionierung halten sich die Waage; Bertz lebt im Spagat zwischen Wollen und Können.
Sein Schreiben bedeutet politisch-intellektuelles Engagement, aber auch Rückzug und Besinnung auf sich selbst: Darin ist er ganz ein Mann seiner Zeit. Wulfhard Stahl
Wulfhard Stahl
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