Von Dirk Becker: Faszinierende Welt des Kontrapunkts Die „Kunst der Fuge“ im Nikolaisaal
Wieder einmal war die Rede von dem bemerkenswert unauffälligen, weil so einfachen Thema, dem bei Johann Sebastian Bachs „Kunst der Fuge“ alles zugrunde liegt. Musikwissenschaftlich ausgedrückt: Zwölf Töne auf sechs verschiedenen Tonhöhen in d-moll entfalten sich über acht Zählzeiten in immer schneller werdendem Rhythmus.
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Wieder einmal war die Rede von dem bemerkenswert unauffälligen, weil so einfachen Thema, dem bei Johann Sebastian Bachs „Kunst der Fuge“ alles zugrunde liegt. Musikwissenschaftlich ausgedrückt: Zwölf Töne auf sechs verschiedenen Tonhöhen in d-moll entfalten sich über acht Zählzeiten in immer schneller werdendem Rhythmus. So kompliziert kann einfach klingen.
Dieses Thema, diese zwölf Töne in d-Moll, sie sind im Ohr geblieben, nach dem Konzert „Kunst der Fuge“ am Freitag im Foyer des Nikolaisaals. Mehr noch. Ein Blick ins Programmheft, wo eine Seite aus der Originalhandschrift Bachs abgebildet war, hat gezeigt, wie unspektakulär einfach dieses Grundprinzip doch ist. Einfachste Notenkenntnisse reichen aus, um das zu lesen. Selbst ein Anfänger wird in der Lage sein, diese zwölf Töne nach kurzem Üben auf seinem Instrument zu spielen.
Was Bach in seinem berühmten Fugen-Zyklus daraus gemacht hat, ließ einen bisher immer wieder staunen. Mit dem Konzert von Christina Plath, Julita Forck, Annette Geiger, Christine Tschirge und Christoph Hampe ist dieses Staunen noch gewachsen. Gleichzeitig aber auch eine Dankbarkeit den Musikern gegenüber, die einem durch ihr Spiel und ihre Interpretation die „Kunst der Fuge“ noch näher gebracht haben.
Im Mai begannen Christina Plath, Julita Forck (Violine), Annette Geiger (Bratsche) und Christoph Hampe (Violoncello) von der Kammerakademie Potsdam mit den Proben an Bachs Spätwerk. Dabei sind sie immer tiefer in diesen Kosmos eingedrungen, der sich aber dennoch seine Rätselhaftigkeit bewahrt hat. Sie holten sich die Cembalistin Christine Tschirge dazu, weil sich bestimmte Kanons ausdrucksstärker und verständlicher auf dem Tasteninstrument spielen lassen. Während dieser Proben werden sie sich weniger von den musikhistorischen Fragestellungen haben leiten lassen, ob die „Kunst der Fuge“ beispielsweise nur theoretisches Lehrwerk sei oder für welches Instrument Bach geschrieben haben könnte, da es nirgends einen entsprechenden Hinweis gibt. Eher werden sie an die Aussage des Komponisten Alban Bergs gedacht haben, der, als er die „Kunst der Fuge“ zum ersten Mal gehört hatte, sagte, dass dieses Werk, das so lange als pure Mathematik galt, zuerst doch tiefe Musik sei.
Mit dem Choralvorspiel „Aus tiefer Not schrei ich zu Dir“ auf der Truhenorgel begann das knapp anderthalbstündige Konzert. Und schon mit den ersten Tönen der Anfangsfuge „Contrapunctus 1“, dem Grundthema, war diese tiefe Musik zu hören und zu erleben. Ein strenger, meditativ-warmer Ton, mit dem die Musiker immer tiefer in diesen faszinierenden Fugenkosmos eintauchten. Eine zurückhaltende Stimmenvielfalt, die durch ihren klaren Ausdruck bestach und dem, der sich darauf einließ, manch unbekannte Tür zu diesem komplexen Werk öffnete.
Dirk Becker
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