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Kultur: Faustisch angehaucht

Pfeffermühlen-Reprise bei der Kabarettwoche

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Pfeffermühlen-Reprise bei der Kabarettwoche Gute Zeiten, alte Zeiten. Wie schon am Mittwoch bei der „Distel“, so gab es auch einen Tag später Kassenschlangen, arg Gedränge, Überfüllung. Die Perle ostdeutscher Kultur-Satire höchstselbst hatte sich zur Kabarett-Woche angesagt, Leipzigs „Pfeffermühle“. Anlass war der 50. Geburtstag dieser Jubiläumstruppe. Weil damit 1954 alles begann, entwarf man eine faustisch angehauchte (leider faustisch nicht durchgehaltene) Reprise, jedoch im Bewusstsein „das ganze Ding geht in die Hose, wenn wir heute nur von damals schwärmen – die alten Szenen einfach lose, nur simpel wieder aufwärmen“. Schwärmen? Na eben, bessere Zeiten hat das Kabarett nie erleben dürfen, als inmitten einer Diktatur das Messer zu wetzen, für die „richtige Sache“ natürlich. Das Publikum sah das vermutlich genauso – und wurde mitnichten enttäuscht. Es gab viel zu lachen in Nummern, wo ein Parteisekretär seiner FDJ-Mieze den Sonnenuntergang verbietet, weil man damit das Dunkelwerden Ostdeutschlands mutmaßen könnte, oder der eilige Mann in der Kaufhalle ewig zu seiner Leberwurscht nicht kommt – damals war eben ein Kunde nicht König. Venedig oder Sonderschicht?, so stellte sich zur Wendezeit eher die Frage. Spots und Sentenzen zur Gegenwart hingegen, über Schröder, Stoiber & Kumpane, wirken inzwischen etwas abgegriffen, weil zu oft zu ähnlich gehört: Die deutsche Führungselite stürzt mit dem Flugzeug ab, wer wird gerettet? Deutschland... Wie dem auch sei, nach hinten und nach vorn zu schauen (wie Janus, der vom Januar), hatte sich das sechsköpfige Ensemble aufgeteilt. In Potsdam spielten Heiderose Seifert agil, Burkhard Damrau mit allen Variablen seiner Stimme sowie Dieter Richter, ein richtiger Schauspieler als Kabarettist. An Klavier und Schlagzeug sorgten zwei Musiker für die Song-Begleitung, für Tusch“s und dergleichen. Eine Blende nebst Vorhang (für die Auf- und Abgänge), mit einem verblassten DDR-Emblem geziert, welchen ein beinarmer Bundesadler überlagert, gab das richtungsweisende Bühnenbild. Wo alles per Reprise „Durch die Mühle gedreht“ wurde, konnte die gute alte Ästhetik nicht ausbleiben. Die Leipziger machen Autoren-Kabarett (Rainer Otto, Robert Grieß, Peter Ensikat), Sketche und Songs im Ensemble, aber auch Solo-Nummern wie „1000 Tage Aktionär“ (Dieter Richter als Klimax). Ein witziger „Ecstasy“-Beitrag (H. Seifert) erlaubte es sogar, wieder Marx zu zitieren. Die gute alte Schule. Von Truppen ähnlichen Zuschnitts unterscheiden sich die Pfeffermüller lediglich durch ihr darstellerisches Talent. Zeitweise ist es bedeutend, gleich aber ihr typischer Werk-Dialekt. Eine „Ansprache“ aus dem Jahr 1979 gab es Honecker-mäßig, und siehe, Teile des Publikums klatschten gleich mit, Kommentar von oben: „Na, das kommt ja schnell zurück!“ Offenbar. Es gab viele solcher Publikums-Kontakte. Der Ulla-Schmidt“schen Gesundheitsreform wurde behufs eines Fußtritts gedacht, die geeinte Landschaft „veropelt und verharzt“. „Bodygards“ zogen die Politik durch den Kakao, Leipziger Polizisten nach “90 sahen bei einem Banküberfall weg, auch Bissiges zur „Pizza-Studie“ durfte nicht fehlen. Pfeffer rot und weiß und schwarz, alles durcheinander. Nur bei der wirklich guten Hitler-Nummer, dem Stargast aller bekannten Fernseh-Talker von Beckmann bis Biolek, war das Publikum auffallend zögerlich. Auch das ist gut, auch das ist Kabarett. Lachen nach Art des Janus hieß die Jubiläums-Vereinbarung, das lösten der Sachsen Dreie noch allemal ein. Auf die nächsten 50 Zeiten denn! Gerold Paul Mit der heutigen Langen Nacht des Kabaretts, Beginn 18 Uhr, geht die Kabarettwoche zu Ende.

Gerold Paul

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