Kultur: Feier des Nichts
Die Kammerakademie mit John Cage und Morton Feldman in der Reihe „KAPmodern“
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Niemand hat radikaler die Regeln der Neuen Musik formuliert als John Cage: „Keine Klänge. Keine Harmonie. Keine Melodie. Kein Kontrapunkt. Kein Rhythmus“, heißt es seinem „Vortrag über das Nichts“, der am Donnerstag im Rahmen des Konzerts der Kammerakademie zu hören war. Im gut besetzten Foyer des Nikolaisaals exekutieren die kammermusikalischen Streicher Christiane Plath, Violine, Christoph Starke, Viola, Jan-Peter Kuschel, Cello, und Tobias Lampelzammer am Kontrabass die strengen Ausführungsvorschriften minutiös genau. Auch Friedemann Werzlau, Schlagzeug, und Markus Zugehör, Klavier offerieren sehr differenzierte Klänge. Auf Querflöte und Bassflöte brilliert Bettina Lange mit sensiblen, wandlungsfähigen Tönen.
In seinem Text verteidigt Cage die Existenz einer gewollt ausdruckslosen und quasi sinnentleerten Kompositionsmethode. Anstelle von konkreten historischen oder menschlichen Bezügen tritt die Apotheose des Nichts, ein Widerspruch an sich. Einige Ergebnisse dieser Denkweise, die am ehesten in fernöstlichen Philosophien zu verorten wäre, tragen die sieben Musiker der Kammerakademie hingebungsvoll vor. Liegestühle im Foyer sollen zur Entspannung beitragen und einigen der etwa 40 Zuhörer sogar, ganz im Sinne von John Cage, ein kleines Nickerchen ermöglichen. Doch daran ist trotz weitgehend moderater, subtiler Klänge nicht zu denken. Vielmehr erwidert das Publikum die konzentrierte Aufführung mit stillem Lauschen wie bei einem klassischen Symphoniekonzert.
Dabei hatte es durchaus etwas Einschläferndes wie Albert Breier mit milder Stimme aus dem „Vortrag über Nichts“ und dem „Vortrag über Etwas“ vorlas. Was jedoch so kunstvoll ohne festes Metrum vorgetragen wird und mit derartig vielen bedeutungsschwangeren Wörtern und Phrasen jongliert, erregt zumindest Aufmerksamkeit. Ob indessen die dargebotenen Tonwerke wirklich Vergnügen bereiten, wie John Cage in seinem Text marktschreierisch behauptet, musste jeder selbst entscheiden.
Zu hören gab es das Arsenal der sogenannten Neuen Musik im oben genannten Sinn. Bewusst antiromantisch und sinnentleert komponierte auch Morton Feldmann, ebenfalls ein Vertreter der Avantgarde vor 50 Jahren. Seine Stücke „Viola in My Life“, „Durations I“ und „Four Instruments“ widersprechen bewusst jeder narrativen, bedeutungsgeladenen Beschreibung. Giacinto Scelsis Werke verwenden schon im Titel „Maknongan“ eine Phantasiesprache und entstanden meistens ganz spontan, wurden auf Tonbändern überliefert und erst nachträglich in Noten gesetzt. An heutige Musiker stellen diese Werke allerdings höchste Anforderungen, denen sich die Musiker der Kammerakademie bravourös stellen. Der Verzicht auf die traditionellen Elemente der musikalischen Sprache scheint letztlich nicht nur alteingeschliffenen Gewohnheiten, sondern dem humanen Gestus der Musik zu widersprechen. Deren Urelemente Rhythmus und Melodie sind dem Menschen tief in seinen Körper bis hin ins Genom eingeschrieben. Wie eng die weltweit verbreiteten Fünfton- und Siebenton-Skalen mit den Eigenschaften der menschlichen Stimme und der akustischen Wahrnehmung verbunden sind, zeigen moderne neurowissenschaftliche Untersuchungen. Was die Neutöner des 20. Jahrhunderts fabriziert haben, kann auch als Dehumanisierung der Musik diskutiert werden. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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