Kultur: Feldherr auf dem Podium
Liederabend der anderen Art mit Jochen Kowalski im Nikolaisaal
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Liederabend der anderen Art mit Jochen Kowalski im Nikolaisaal Auch das noch. Der heiß ersehnte Star wird mit einer Indisposition angesagt. So ist nun mal das Leben, wie man in Anlehnung an das „So oder so ist das Leben“-Motto des Abends sagen könnte. Dennoch ist das kollektive Stöhnen der Fangemeinde im ausverkauften Nikolaisaal groß. Doch Altus Jochen Kowalski enttäuscht nicht und singt trotz eindeutiger Symptome eines (langsam abklingenden) grippalen Infekts. Doch was heißt: singt. Er gestaltet einen Lieder- und Arienabend der etwas anderen Art. Er macht die Gesänge hautnah erlebbar und teilt einem seine Freude am Singen unverstellt mit. Da ist nichts einstudiert oder auf Wirkung berechnet. Seine Bühnenpräsenz ist enorm. Er ist, von Aura umweht, der Charmeur, der große Junge, der das Publikum jederzeit im Griff hat und von diesem geliebt wird. An seiner Seite läuft das ihn genüsslich begleitende Salonorchester Illusion (Mitglieder des Orchesters der Komischen Oper Berlin) zur Hochform auf. Ansporner dieser siebenköpfigen Elitetruppe ist Violinist Frank Schäfer, der außerdem noch Gitarre und Akkordeon spielt sowie als Arrangeur den Stücken die passgerechte Form schneidert. Als besonderen Kleiderschmuck setzt er immer wieder eine etwas vordergründig klingende Klarinette ein (Gerold Gnausch). In dieser instrumentalen Besetzung klingt das Adagio aus der Ouvertüre von Händels „Feuerwerksmusik“-Suite D-Dur ziemlich zirpelig bis „schräg“. Moderne rhythmische Zutaten sorgen für verfremdende Wirkung, was darauf schließen lässt, man möge die Juwelen der Tonkunst nicht allzu ernst nehmen. Nahtlos geht es in die tonmalerische „Kälte-Arie“ aus Purcells „King Arthur“, deren stockend-frostklirrenden Gestus Jochen Kowalski vorzüglich trifft. Nicht minder plastisch formt der Sänger die Cäsar-Arie „Va tacito e nascosto“ aus der Händel-Oper „Giulio Cesare“, ein Leckerbissen an musiktheatralischer Intensität. Kowalski ist - und nicht nur hierbei - der Feldherr auf dem Podium. Die Stimme zeigt sich geschmeidig wie eh, glanzvoll und edelschimmernd jedoch nicht mehr. Die Karriere fordert ihren Tribut. Doch sein Metier beherrscht er. Er kapriziert sich auf kokette Kanzonen, erweckt russische Komponisten (Glinka, Schostakowitsch) zu neuem Podiumsleben, erweist sich als weanerischer Stimmkomiker bei der frohen Botschaft „Kommt ein Voger''l geflogen“. Da wandeln sich die Salonisten zum Schrammelorchester, das selbst vorm Vivaldischen „Winter“-Largo (mit Klarinettensolo und Percussionsunterstützung) nicht halt macht, später sogar zu einer Zigeunerkapelle. Nicht weniger augenzwinkernd trägt Kowalski Tonfilmmelodien wie „Du hast Glück bei den Frau''n“ vor, wofür seine Stimme ein wenig zu filigran wirkt. Die Ballade von Mackie Messer aus der Brecht/Weillschen „Dreigroschenoper“ und das Cole Portersche „Night and Day“ zeigen den lautstark gefeierten Altus voller Feeling fürs Unterhaltsame. War da mal nicht eine Indisposition angesagt?!Peter Buske
Peter Buske
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