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Kultur: Felix bekam den Vortritt

Poetenpack: Fanny Hensels Italiensehnsucht

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Poetenpack: Fanny Hensels Italiensehnsucht Rilke, Kästner, Fanny. Die freie Theatergruppe Poetenpack überraschte ihr Publikum dreimal mit hohem Geist- und Hörgenuß (PNN berichteten vorab). Ein musikalisch-literarisches Portrait in der Französischen Kirche erinnerte an den lang gehegten Italientraum der Pianistin und Komponistin Fanny Hensel (1805-1847). Wenige nur, denn angesichts der Veranstaltungsflut in Stadt und Land blieben am Bassinplatz sehr viele Plätze frei. Schade, oft ist das Einfache auch das Beste. Wie ihr ganzes Leben zwischen Tun und Lassen schwankte, so stand Fanny Hensel stets im Schatten ihres berühmten Bruders Felix (Clara Schumann kannte das auch). Viele Lexika erwähnen sie gar nicht, oder preisen allein die Virtuosität ihres Klavierspiels, als hätte sie nicht genugsam komponiert, kürzere Sachen meist, denn für große Werke fehlte ihr der lange Atem. Bis zu ihrem eiligen Tod schuf sie mehr als 300 Lieder, Kammermusik, ein Oratorium, anderes. Mit 12 Jahren konnte sie Bachs „Wohltemperiertes Klavier“ auswendig spielen, später fast alle Klaviersonaten Beethovens. „Nach Süden“, so der Titel des Abends, beschränkte sich auf Liedvertonungen, die anlässlich ihres Italienaufenthaltes 1839/40 entstanden. Von den vier Kindern der Eltern Abraham und Lea (Maxime „Alle Muße ist Laster“) war Fanny Cäcilie vor Felix, Rebecca und Paul die Erstgeborene. Um seinen jüdischen Kindern den „Eintritt in alle gesellschaftlichen Berufe" zu ermöglichen, ließ der Vater, Chef einer großen Bank in Berlin, seine Zöglinge evangelisch taufen. Aber das galt wohl den männlichen Sprossen: An ihrem 23. Geburtstag sprach er die geflügelten Worte, „solange es Zierde, niemals Grund“ bliebe, hätte er nichts gegen ihr Komponieren. Sie möge sich „dem Beruf der Hausfrau widmen“ und „Felix den Vortritt lassen“, was in der als harmonisch beschriebenen Ehe mit dem von Goethe nicht geschätzten Historienmaler Wilhelm Hensel 1829 geschah. Furcht und Respekt vor den Brüdern blieben. Felix sträubte sich bis zuletzt, der Veröffentlichung ihrer Lieder zuzustimmen. Sie gehorchte. Von diesen und anderen Begebenheiten erzählten die Schauspieler Beate Kurecki und Andreas Hueck in Zeugnissen und Selbstzeugnissen ohne feministischen Kick, vor allem natürlich vom Süden, den sie, an der Seite ihres Gatten, über Monate schöpferisch im Freundeskreis als „Befreiung“ genoß. Mailand, Venedig und Rom („Bettler keine, Flöhe wenige, Kinder kaum“) ließen sie rasch ihren Status als „elende Weibsperson“ vergessen. Sie vertonte viel von Goethe, dem geistigen Vater ihrer Italien-Sehnsucht, Eichendorff, auch des Gatten titelgebende Verse. Mechthild Winter führte die Sopranistin Heike Pichler-Trosits am Flügel behutsam in die Gefühls- und Vorstellungswelt der Hensel. Ihre Kompositionen, Kunstlieder im Stile der Zeit, sind von einer fast atemberaubenden Dichte des Ausdrucks, in der Anlage schlicht, aber tief im Empfinden, was auch Felix bewunderte. Komprimierte Gefühle. Das Einfache ist ja das Schöne. Dergestalt wurden sie, teils mit interaktivem Gestus, von der reifen und schönen Sopranstimme der Solistin vorgetragen. Gerold Paul

Gerold Paul

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