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Alle Gefühle auf den Tasten. Boris Beresowski und das Klavier.

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Von Peter Buske: Feuerkopf & Tastenpoet

Ein hinreißender Klavierabend mit Boris Beresowski im Nikolaisaal

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Wider die veralteten Anschauungen der Philister, die ihm als sinnverwandtes Wort für Spießer gelten, zieht Robert Schumann in der 1834 von ihm gegründeten „Neuen Zeitschrift für Musik“ zu Felde. In ihr vertritt er neue ästhetische Positionen, gründet einen imaginären „Davidsbund“: wie einst der Knabe David den Riesen Goliath bezwang, sollten die Kräfte des künstlerischen Fortschritts obsiegen. Er schreibt unter Pseudonymen, erfindet dazu verschiedene Künstlercharaktere: den leidenschaftlichen und feurigen „Florestan“, den nachdenklich-sanften „Eusebius“, zwischen denen vermittelnd „Meister Raro“ steht. Diese Davidsbündlerschaft, Ausdruck für differenzierte Kunstansichten, zieht sich wie ein roter Faden durch Schumanns Zeitschrift. Und auch durch seine pianistischen „Davidsbündlertänze“ op. 6, die der russische Pianist Boris Beresowski an den Anfang seines Klavierabends am Freitag im vollbesetzten Nikolaisaal stellte.

„Florestan und Euseb ist meine Doppelnatur“, bekennt Schumann, „die ich wie Raro gern zum Mann verschmelzen möchte.“ Und als solche begreift der Pianist die achtzehnteilige Tanzsammlung: als musikalische Bekenntnisse einer Person, die zwischen „wild und lustig“ oder „zart und singend“ hin- und hergerissen ist, wie entsprechende Stücküberschriften lauten. Da sich das Opus als ein Werben um die junge Clara Wieck darstellt, wählt der spätere Gatte als Eingangsmotiv für die erste Miniatur ein Thema aus deren „Soirées musicales“. Gleich einer Klammer hält es den Zyklus zusammen.

Voller Hingabe stürzt sich Beresowski in das pianistische Abenteuer. Und versteht es dabei, überschäumenden Lebensmut mit sanftmütiger Träumerei auf faszinierendste Weise zu kontrastieren. Erstaunlich, wie er mit leichtem und lockerem Anschlag Unheilvolles in Dramatik münden lässt, schwärmerische Herzensergießungen facettenreich modelliert und selbst eine gewisse Nüchternheit klangvoll und farbenreich zu gestalten vermag. Forteausbrüche bleiben genauso kultiviert wie graziöses Elfenhüpfen. Kurzum: der poetische Feuerkopf enthüllt dem gebannt lauschenden Publikum ein changierendes Panorama menschlicher Leidenschaften.

Dann, bei vier Stücken aus der Sammlung „Douze Études d’exécution transcendante“ (12 transzendentale Etüden) von Franz Liszt, kommt die Pranke des Klavierlöwen zum Vorschein. In „Mazeppa“ jagen Terzenketten, akrobatische Doppelgriffe und halsbrecherische Läufe den kämpferischen, auf ein Pferd gefesselten Kosakenführer in die Steppe. Ein Todesritt, wie man unschwer hören kann. Unschwer zu sehen, wie der leger gekleidete Boris Beresowski auch hier immer wieder den Klängen nachhorcht und seitwärts auf den Boden blickt – als lägen dort Botschaften verborgen, die es aufzuheben gelte. Kurze Verschnaufpause: dann scheint ein über Gestein sprudelnder Gebirgsbach munter zu rauschen, der sich allerdings als spukhafte „Irrlichter“ entpuppt. Des Pianisten Füße tanzen dabei ein nicht minder hinreißendes Pedalballett. Die „Wilde Jagd“ bleibt ihrem Titel ebenso wenig schuldig wie die sanft ausklingenden „Abendklänge“.

Jähe Stimmungswechsel und vollgriffige Attacken zeichnen auch die dämonische, zerklüftete h-Moll-Sonate aus. Was einst von manchen als „wüstes Toben“ oder „blinder Lärm“ bezeichnet wurde, enthüllt sich unter Beresowskis hemmungsloser Spiel- und Gedankenvirtuosität als eine höchst diffizile, spannende, in Töne gegossene Lebensbeichte des Komponisten. Die drei Eingangsakkorde meißelt er wie aus Stein gehauen hin – als strukturelles Grundgerüst des einsätzigen und großbogigen Sonatenbaus. Fünf tragende Themen-„Säulen“ stützen ihn. Kantilene und hämmernde Motorik, Pathos und Tränen, Stolz und Entsagung, Jähzorn und Beschaulichkeit gilt es gleichermaßen überzeugend als Wechselbad der Gefühle zu gestalten. Diesen kraftstrotzenden und -zehrenden Aufgaben (was für Differenzierungen im Fortefortissimo!) entledigt sich Boris Beresowski mit müheloser pianistischer Ekstase und Verinnerlichung. Die ihm anschließend dargebrachten Ovationen (auch stehend) genießt er sichtlich. Bereitwillig reicht er drei Chopin-Zugaben aus, die sich in filigraner Anmut überaus tanzfeurig und lebensfreudig ausbreiten. Ein hinreißender Abend der großen Gefühle.

Peter Buske

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