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Kultur: Feuerwerk

Bachs „Matthäus-Passion“ in der Erlöserkirche

Stand:

Zahlreiche Arien sind gestrichen oder um ihren Dacapo-Teil gekürzt, Choräle fallen weg, Rezitative sind en bloc gefügt, Nummern uminstrumentiert, in eine Chorpassage ist ein Kinderchor neu eingefügt Es sind der Eingriffe viele, die sich Felix Mendelssohn Bartholdy bei seiner Bearbeitung von Johann Sebastian Bachs über dreistündiger „Matthäus-Passion“ BWV 244 geleistet hat, als er Jesu Leidensgeschichte für eine zweistündige Wiederaufführung 1829 durch die Sing-Academie zu Berlin im romantischen Zeitgeist aufbereitete. Zwölf Jahre später überarbeitet er seine Adaption erneut für eine Aufführung, diesmal am Ort ihrer Erstaufführung in der Leipziger Thomaskirche. Nunmehr übernehmen Kontrabass und zwei Celli den Part der Rezitativbegleitung, wird die Orgel in den Chorälen und in einigen chorbegleiteten Arien eingesetzt. Hinzugefügte Legatobögen sorgen für breite Klangflächen, auf das sich die romantischen Emotionen effektvoll ausbreiten mögen. Für diese Leipziger Fassung von 1841 entschied sich Ud Joffe, als er die „Matthäus-Passion“ am Wochenende zweimal in der rappelvollen Erlöserkirche zu Gehör brachte.

Statt barocker Klangaskese geben sich das Neue Kammerorchester Potsdam, die Potsdamer Kantorei und Kinderstimmen aus deren Kantoreischule (Einstudierung: Sophie Malzo) sowie bestens aufeinander abgestimmte Solisten hemmungslos den vielfältigsten romantischen Stimmungen hin. Mendelssohns Absicht der inhaltlichen Konzentration aufs biblisch-dramatische Handlungsgeschehen und dem damit verbundenen Wegfall aller retardierenden oder betrachtenden Elemente wissen sie vollauf zu entsprechen. Zumal der Dirigent von Anfang bis Ende ein Feuerwerk romantischer Dynamik zu entfachen versteht.

„Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen“ bittet der Eingangschor. Machtvoll und ausgeglichen, dunkel und breit klingen die zu einer geschmeidigen Klangmasse verschmelzenden Stimmen der Kantorei. Dabei sind – im Überschwang der ausbrechenden Gefühle – die ausgezeichnet geschulten Kinderstimmen kaum zu vernehmen. In den Chorälen verströmt sich der pure, leicht verhangene Wohllaut der Kantorei. Leider ist aufgrund räumlicher Enge im Altarraum die doppelchörige Anlage der Passionsmusik kaum verfolgbar. Erfreulich dagegen, dass bis hin zum „Tränen“-Abschiedsgesang viel Raum für chorsängerische Intensität bleibt, durch die auch die Turbae-Chöre ihre packende Dramatik enthüllen können.

Das Orchester darf sich dem reichlichen Vibratogebrauch hingeben, dennoch wird schlank und mit Leichtigkeit musiziert. Instrumentalsoli von Flöte, Oboe und Violine (herausragend der ungenante Konzertmeister) umschmeicheln die Arien. Dabei kennt die gefühlsgetränkte innere Anteilnahme der Sänger kaum Grenzen. Allen voran Daniel Sans als tenorstrahlender Evangelist mit seinem subjektiv eingefärbten Bericht von Gefangennahme über Geißelung bis hin zum Tod Jesu. In dieser Partie überzeugt der wohlgefällige, das Ariose betonende Bassbariton Benjamin Appl genauso wie sein gestaltungsintensiver Stimmkollege Roland Hartmann (Arien, Petrus, Pilatus, Judas). Ausgeglichen und breit sich verströmend singt Regina Jakobi die Alt-Partie, während Dana Marbach sehr geschmeidig und höhenschwebend ihre Sopranlieblichkeit nachdrücklich unter Beweis stellt. Dem Werk und Ort angemessen, sind die Zuhörer aufgefordert, die Aufführung in Dankesstille ausklingen zu lassen. Alle halten sich daran. Peter Buske

Peter Buske

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