Kultur: Fiesta Loca
Berimbrown und Desorden Público im Waschhaus
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Es rollt uns entgegen, drückt uns an die Wand, packt uns am Kragen und schleudert uns dann von Wand zu Wand. Ein gute Laune-Gewitter, ein Funk-Feuerwerk, eine Samba-Walze. Widerspruch zwecklos. Den Kopf bitte ausschalten. Ab sofort übernimmt der Körper die alleinige Kontrolle. Ein bisschen viel, ein bisschen schnell, ein bisschen Berimbrown. Die brasilianische Band überfordert mit Konzept. Und wie.
Die zehn Musiker betankten das Waschhaus am Mittwochabend mit Adrenalin. James Brown trifft auf den Karneval in Rio. Das ist die universelle Verschmelzung von schwarzer Kultur. Die Globalisierung macht es möglich. Samba-Reggae, Capoeira, afrikanische sowie indianische Rhythmen werden von Staccato-Blechbläsern im Dreieck getrieben. Dazu sitzt die pointierte Wawa-Gitarre wie ein Stachel im Hintern der Zuhörer. Die Musiker von Berimbrown lassen kaum Zeit Luft zu holen.
Auf der Bühne ist zeitgleich zu bewundern, wer hier das Tanzen mit der Muttermilch aufgesaugt hat. Aber für Neid ist keine Zeit. Und dass die Hüfte auch bei den Potsdamern locker sitzt, macht anschließend eine spontane Capoeira-Einlage aus dem Publikum klar. Bei dieser schweißtreibenden Show muss man aufpassen, dass die Inhalte nicht allzu schnell in den Hintergrund treten. Schließlich liegen die Wurzeln der Band in den Favelas von Belo Horizonte. In Brasilien sind die sozialkritischen Texte ein Markenzeichen der Musiker. Nach anderthalb Stunden wird Auge und Ohr dann eine kurze Verschnaufpause gegönnt, bevor die zweite Band des Abends, Desorden Público, die Bühne betritt.
Ihr Bandname bedeutet ins Deutsche übersetzt soviel wie „Öffentliches Chaos“. Eine hohle Drohung ist das nicht. Die Venezolaner gelten als die Pioniere der lateinamerikanischen Ska- Szene und blicken auf eine über zwanzigjährige Bandgeschichte zurück. Das Tourleben hat sie zu Athleten geformt und wer dachte, dass jede Band nach Berimbrown nur wie eine Dampfschifffahrtskapelle an einem verregneten Sonntag wirken kann, sah sich nun eines besseren belehrt. Die Knie bis unter die Nasenspitze gezogen, machen die Südamerikaner zumindest energetisch da weiter, wo ihre brasilianischen Vorgänger aufgehört haben.
„Höher, weiter, schneller“ – lautet auch hier das Motto. Ihr Schwerpunkt liegt dabei auf dem Ska, angereichert mit Salsa, Merengue und Chacha. Um ein besseres Bild zu bekommen, kann man sich vielleicht die Enkel des Buena Vista Social Club auf Mate vorstellen. Mit dem Herzen in den Beinen und dem Kopf an der Saaldecke hüpfte die „Fiesta Loca“ im Waschhaus so ihrem Höhepunkt entgegen. Philipp Kühl
Philipp Kühl
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