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Die Grenze zwischen Ich und außen. Die Künstlergruppe „Mangan 25“ geht gern an die Ränder, begibt sich auf extreme Reisen. Nicht zur Selbstbeschau, sondern um etwas über das Leben herauszufinden. Mal empirisch, mal künstlerisch.

© Peter Adler

Kultur: Finde deine Grenze

Die Künstlergruppe „Mangan25“ zeigt ab Donnerstag durch Reisen entstandene Arbeiten im Kunstraum

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Ist Reisen Kunst? Nun, zumindest braucht beides eine gewisse Bereitschaft, sich auszusetzen, sich etwas Neuem, Fremden ganz hinzugeben. An Grenzen – auch an die eigenen – zu gehen. „Den eigenen Wahnsinn ergründen ... durch eine kühne und sinnlose Tat“, nennt es der Komponist und Regisseur Kai-Uwe Kohlschmidt. Insofern ist das, was die Künstlergruppe „Mangan25“ seit 2004 immer wieder betreibt, Kunst par excellence im doppelten Sinne. Die acht „Mangan25“-Künstler schaffen sich die erschwerten Bedingungen, unter denen gute Arbeiten nun mal meist entstehen, auf Expeditionen in die Wüste Namibias, den Regenwald Venezuelas, nach Spitzbergen oder ins Grenzland von Neiße und Oder. In den vergangenen zehn Jahren sind durch diese Reisen Fotografien, Videos, Bilder, Hörspiele und Texte entstanden, die ab Donnerstagabend zum ersten Mal im Kunstraum des Waschhaus zu sehen sein werden.

Zuvor – auch das passt zum Reisekunst-Konzept – war die Ausstellung schon im Kunstmuseum Dieselkraftwerk in Cottbus zu sehen. Aber zurück zum Anfang. Alles begann, weil Kai Uwe Kohlschmidt sich mit Reinhold Messners Büchern beschäftigte und darin eigene Erfahrungen wiederfand – und etwas, das ihm neu war und das ihn neugierig machte: Messner beschrieb, wie bei Höhengewittern am Manaslu, einem Achttausender in Nepal, die Steigeisen und und Zeltstangen der Bergsteiger durch die Elektrizität in der Luft anfingen zu summen. Musik in der Todeszone. Das musste er hören, das muss er aufzeichnen. Am liebsten wäre er mit Messner selbst aufgebrochen, am Ende war es eine Gruppe des Alpinklubs Sachsen, die ihn mitnahm. Ihn und eine Reihe befreundeter Künstler, die durch seine Begeisterung ebenfalls mitgerissen wurden. Also brechen sie auf, zum Nanga Parbat, damals noch unter dem Label Deutsche Kunstexpedition.

Und wie es mit guten Reisen – und guter Kunst – eben so ist: Sie erschüttert einen, verändert einen nachhaltig. Man steigt, wenn es etwas getaugt hat, als ein Anderer wieder aus dem Fluss. Das ist kein Prozess, der per se erstrebenswert ist, immer tut es weh, immer geht etwas Kostbares dabei verloren. Auf dem Abstieg vom Gipfel verunglückt einer der Bergsteiger, er stirbt. Die Künstlergruppe, die selbst im Basislager geblieben ist, kann alles durch ein Fernrohr beobachten. Danach hatten sie erst einmal genug vom Reisen, vom Sich-Aussetzen. Von der Angst. Doch schon zwei Monate später trieb es sie wieder in die Welt. Klar. Die einmal überwundene Angst fordert einen fortan immer wieder heraus. Außerdem liefert sie Stoff, Gedanken, die zu Kunst werden.

„Vier Männer kommen den Berg hinab/Im Herzen ein Klumpen, die Frucht der Überlebenden/Die Masse, die sie zurückbringt, ja hinabzieht“, so wird es später in einem Hörspiel zu der Reise an den Nanga Parbat heißen. Der Text geht natürlich noch weiter, und auch abseits des Radioformats funktioniert er für sich allein, wie ein Gedicht. Texttafeln wie diese ziehen sich durch die Ausstellung um Kunstraum, die helle Schrift auf hellem Grund kommentiert nur leise, unaufdringlich die übrigen Arbeiten. Als wollten die Künstler – Tom Franke, der Filmemacher, Gordon Adler, der Fotograf, Wolfgang Wagner, der Schauspieler, Isabel Neyses, die Kamerafrau, Peter Adler, der Maler und Bildhauer, Arta Adler, die Schauspielerin und Ärztin, Momo Kohlschmidt, die Schauspielerin, und Kai-Uwe Kohlschmidt, ihr Mann – ihre Sicht auf die Welt niemandem aufdrängen. Ihre einzelnen Werke greifen oft ineinander, kommunizieren miteinander. Und natürlich gehen ihre Arbeiten weit über den halb dokumentarischen, halb poetischen Ansatz hinaus.

Da sind etwa die überlebensgroßen Skulpturen im Stil Giacomettis: Schmal, langgliedrig und hier monochrom schwarz. Die Schultern hochgezogen wie um sich zu schützen, die Hände fest an die Seiten gepresst. Nur eine hockt auf den Fersen und scheint sich zu räkeln, die Arme weit über den Kopf gereckt wie nach einer langen Starre. Diese dunklen Weltenwandler korrespondieren im Kunstraum mit einem Segelboot, einem echten Einmaster, der von der Expedition auf der Oder stammt. Hier bäumt er sich an einer Galerie-Wand auf wie an einer tödlichen Welle. Oder einer Grenze. So oder so: „Eine Balance auf Zeit zwischen zwei Kräften“, schreibt Kai-Uwe Kohlschmidt dazu und spielt auf den ewig umkämpften Landstrich bei Küstrin an, dessen Besitzer historisch ständig wechselten.

Auf der Neiße hatten sie eine Lochkamera dabei, eine der rudimentärsten Methoden, um Fotos zu machen – und eben durch ihr einfaches Prinzip eher unberechenbare Natur als hochentwickelte Technik. Und so leben die Bilder, die mit ihr entstehen, gewissermaßen. Alles wirkt, obwohl schwarz-weiß, wie gerade selbst gesehen, in Bewegung, im Fluss.

Auf einem Video kann man dem Fließen der Neisse selbst folgen, nur mit den Augen freilich. Und doch ist hier alles anders, Reflektionen und Wasser laufen wie in einem Kaleidoskop in der Bildmitte zusammen – weil die Kamera einfach um 90 Grad gekippt wurde und das Ufer so zur vertikalen Mitte erklärt hat. So ein ruhiges Dahinfließen war es allerdings nicht immer, die Künstler geraten auf ihren Reisen mit dem selbstgewählten Auftrag „Finde Mangan!“ oft genug in Gefahr. Kentern. Muss das sein?

„Brauche ich Geier, um zu schreiben?“, fragt Kai-Uwe Kohlschmidt sich, als er sich an eine kritische Situation im Nausgomab-Canyon erinnert. Und ja, es muss sein, die Herausforderung bis an die eigenen Grenzen. „Mangan25“, ihr Name, war übrigens zunächst der Titel eines Songs, der am Nanga Parbat als Teil einer Performance entstand – und der das Erlebnis des Mannes behandelt, der alleine zurückging – und verunglückte.

Die Ausstellung „Finde Mangan!“ eröffnet am Donnerstag um 19 Uhr im Kunstraum des Waschhaus, Schiffbauergasse. Anschließend ist sie dort bis zum 29. März zu sehen

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