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Kultur: „Flaschenpost im Büchermeer“

Rainer Ehrt stellt unter dem Titel „Strichgewitter“ in der Stadt- und Landesbibliothek aus

Stand:

Rainer Ehrt stellt unter dem Titel „Strichgewitter“ in der Stadt- und Landesbibliothek aus Die ganze Fangemeinde scheinbar zog ihm nach, als der vielseitige Künstler bildender Zunft in der Stadt- udn Landesbibliothek das zehnjährige Bestehen seines Selbstverlages mit einer sehenswerten Ausstellung feierte. Rainer Ehrt, 1960 im Harzer Elbingerode geboren, ging durch die Schule von Burg Giebichenstein, wo er Gebrauchsgrafik studierte, allerlei sonst, was ihm den Umgang mit Kunst und Büchern fortan erleichtern sollte. Heute beackert der Kleinmachnower unter dem hochbegehrten Logo „Edition Ehrt“ ein weites Feld: Freie Grafik, Cartoon und Plakat, Illustration, Holzplastik. Vor allem das „Künstlerbuch“ hat es ihm angetan. Was unter den Schreibern Rang und Namen hat, also Substanz, schafft er mit eigener Hand ein zweites Mal grafisch, denn seine kunstsinnigen Kommentare zu Volker Brauns „Lagerfeld“, zu Rilkes „Kleinem Totentanz“, der „Odyssee“ (Mickel/ Homer) und anderen Kostbarkeiten, in der Bibliothek am Platz der Einheit zu sehen, mag man billig Illustrierung nicht nennen. Die Fangemeinde schätzt das „schöne Buch“ von Ehrt längst höher als die schnell gefertigten Discount-Produkte von nebenan. Wo alles im doppelten Wortsinn nur „billig“ gerät, da will der Editor die seinen wieder „teuer“ sehen, auch deshalb, weil ihn noch heuer schmerzt, dass in der Hitze der „Wende“ eine ganze Jahresproduktion Bücher auf die Müllhalde kam. Der Grafiker hat das Buchmachen von der Pieke auf gelernt, er liebt alles Gedruckte. Eine Frage der Zeit nur, bis er den Stichel mit der Feder vertauschte. Zur Vernissage las er erstmals eine eigene Erzählung, „Johanna“, in der phantastischen Tradition eines Kubin oder Goya stehend, darin er sich als Vertreter der „Hals-Nasen-Ohren-Fraktion“ bekennt, als Künstler der Sinnlichkeit. Der grafische Part zum minotaurischen Thema folgt todsicher nach. Es war also voll und gemütlich, und wie Rainer Ehrt sich noch immer in aufklärerischer Tradition wähnt, so spielte der Gitarrist Lutz Andreas gute Songs von den Beatles und weitere Alternativen. Solange sich beherzte Könner kümmern, wird es auch das „Künstlerbuch“ geben: Auf bestem Papier in kleinen Auflagen gedruckt (das „Eroticon“ nach Goethe hat 30 Seiten), großzügig illustriert und mit kalligrafischen Proben versehen, gerät der „Edition“ das Druckwerk selbst zur Kunst. Buch und Bild wird „Bilder-Buch“ - Ehrt''s Fangemeinde nennt man jetzt wohl besser "Bibliophile". Die Potsdamer Großbücherei als „aufklärerischer Ur-Ort“ verdankt ihm ein Plakat, darauf der rote Preußenadler zum Lese-Adler wird, mit Text „Bewahrt die Bibliotheken“. Mutig, bei seiner erklärten Hassliebe zu den Hohenzollern, wovon etwa sein Aquatinta-Radierzyklus Borussiana“ nach Daniel Chodowiecki Zeugnis ablegt. Er schenkte der Bibliothek, als „Flaschenpost im Meer der Bücher“, ein druckfrisches Exemplar von Brauns „Lagerfeld“ mit farbigen Offset-Lithografien. Der erklärte Büchernarr zeichnet, tuscht, aquatintiert, schneidet in Holz, Stein oder Metall, fertigt mehrfarbige Siebdrucke, oft auf Bütten, schafft Leporellos, Taschen- und limitierte „Unikatbücher“. Wie bei ihm also Bild und Text zusammenkommen, so auch Handwerk und Kunst, eine seltene Melange. Rang und Namen haben der „erotische“ Goethe und der „sudelnde“ Aphorist Lichtenberg, Rilke und Mommsen (nach Heiner Müller), auch Erstveröffentlichungen von Hanns H. Wagner und Sabine Kebir suchen unter dem griffigen Titel „Beißtexte“ mit seiner bildnerischen Handschrift nach Käufern. Vieles davon kann man bis zum 27. Januar Blatt und Blatt betrachten. Vielleicht regt die Exposition für ein bibliophiles Weihnachtsgeschenk an. Dann sollte man auch die oft satirische oder füllige Bildsprache mögen, mit welcher Ehrt seit zehn Jahren die intellektuellen Augenblicke der Texte festzuhalten sucht; einen so späten Aufklärer wie Volker Braun liebt heute nicht jeder. Und dazu muss man weniger bibliophil denn ein Fan des Künstlers sein, man schenkt nur, was einem selber gefällt. Gerold Paul

Gerold Paul

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