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Natur im Vorbeifahren. Foto-Künstler Martin Herbig.

© Manfred Thomas

Kultur: Flüchtige Bilder

Mit Foto und Malerei nähern sich Martin und Michael Herbig der Natur. Ihre Werke sind im Offenen Kunstverein zu sehen

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Ein Zug rast über die Eisenbahnbrücke des Sees bei Caputh. Durch den Raum zwischen den Waggons wird für einen kurzen Moment die Landschaft auf der anderen Seite der Brücke sichtbar. „Das ist, als würde in schnellem Rhythmus eine Kamerablende geöffnet und geschlossen“, sagt Martin Herbig. Im Offenen Kunstverein Potsdam zeigt er Fotos zusammen mit Ölmalereien und Holzschnitten seines Bruders Michael Herbig. Die Natur, ihre Schönheit und deren Bedrohung beschäftigen beide Künstler.

Die Verwischungen, das Unbestimmte dominieren die Fotos von Martin Herbig. Die Kamera nicht als Mittel, Informationen um die Welt einzufangen, sondern um deutlich zu machen, dass die Realität im Kameraauge ohnehin nur eine Illusion ist. Häufig sind es Langzeitbelichtungen, bei denen das bewegte Motiv nur als Schemen auf der Ablichtung sichtbar wird. Mehrfach finden sich Wasserspiegelungen und Strukturen. „Den optimalen Ausdruck der Einfachheit“ habe er einfangen wollen, so Herbig. Eigentlich sei er Maler, aber irgendwann habe er festgestellt, dass sich die Motive auf den Bildern immer weiter verflüchtigten, da habe er aufgehört zu malen. Für das Flüchtige sei eher das Foto das geeignete Medium. „Reisen – und die Welt steht still“ hat Herbig ein Foto betitelt. Von außen aufgenommen ist der Innenraum eines Zugabteils zu erahnen. Die Menschen darin sind flüchtige Gespenster, aber die Welt, die durch das Zugfenster auf der anderen Seite des Abteils zu sehen ist, steht still. Die vorbeihuschende Zugbewegung: wie eingefroren. Die meisten Fotos hat er in der Nähe der Caputher Eisenbahnbrücke aufgenommen. Erst im Laufe seiner mehr als einjährigen Recherche erfuhr Martin Herbig, dass das Bauwerk für die untergegangene DDR eine erhebliche Bedeutung hatte. „Die Brücke ist Teil der Umgehungsbahn, mit der Westberlin umgangen wurde“, so Herbig. Ihn interessiere jedoch nicht die geschichtliche Bedeutung des Bauwerks, sondern das, was bei aller Veränderung dennoch bleibe: eine Leiter, die von der Brücke zum Wasser führt, Wasserspiegelungen von Bäumen im See, der weite Blick über Wellen, die das Wasser des Sees kräuseln.

Natur und Wasser sind auch Motive seines malenden Bruders. „Überfahrt“, „Schwäne“, „Das Meer“, titelt Michael Herbig. „Der Fährmann ist pleite“, kommentiert er einen Holzschnitt mit dem aufgerissenen Umriss einer Bootsform. „Das Land steigt ins Meer“ steht in großer Schrift über eine grüne, von Meer umflossene Inselfläche geschrieben. Die sorgfältig ausgeführten Drucke und die aus vielen Schichten aufgebauten Ölbilder lassen den Künstler erkennen, der sein Handwerk mit Akkuratesse liebevoll ausführt. Er habe zwar ebenso wie sein zehn Jahre jüngerer, 1972 geborener Bruder nie Kunst studiert. „Das ging nicht, dafür war ich zu widerspenstig“, kommentiert Michael Herbig die Verhältnisse im Sozialismus. Dennoch sei ihm die Sorgfalt beim Malen eines Bildes und bei der schwierigen Herstellung der großformatigen Drucke ebenso wichtig wie seinem Bruder die geduldige Motivsuche. Es schwingt wohl mehr als eine zufällige Ähnlichkeit bei der Motivsuche zwischen den beiden Brüdern. Das zeigte sich, als Martin Herbig das Foto eines Wassermotivs „42 Hertz“ entsprechend der Wellenfrequenz des Wasser betitelte. Erstaunt stellte er fest, dass Michael Herbig einen Holzschnitt mit flammenden roten Formen „42 Grad“ genannt hatte. Das sei die Temperatur, bei der Eiweiß gerinne, kommentiert der Michael. Er wolle mit dem Titel auf die Gefahren von Natur- und Umweltzerstörung aufmerksam machen. Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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