Kultur: Flugversuche und ein Nieser
Eine neue Produktion des Theaterjugendklubs
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Eine neue Produktion des Theaterjugendklubs Träumen, fliegen, flügge werden – nie ist das wichtiger als in der Zeit des Erwachsenwerdens. Doch ausgerechnet da kommt einem die Pubertät dazwischen, eine Phase, wo keiner es einem recht machen kann, wo man mit aller Welt hadert, indem man sich selbst am wichtigsten nimmt. Genau in dieser Situation fand man am Montag Robin vor, den vom Theaterjugendklub erdachten Protagonisten einer neuen Produktion mit dem bezeichnenden Titel „Flugversuche“. Unter Federführung der Spielleiterin Janine Schäferhoff machten sich sieben junge Leute ernste Gedanken über das Erwachsenwerden, seine Probleme, Hindernisse, ohne die guten und humorvollen Seiten dabei zu vergessen. Ein volles Haus in der Reithalle A war auf sechzig Minuten eingeladen, den geraden oder krummen Wegen Robins in seinem Jugendzimmer mit Hochbett, Tisch und Schrank zu folgen. Das schien gar nicht so einfach, denn der selbst geschriebene Text, so ehrlich er war, hielt diesmal ganz andere Klippen bereit als beim „Beslan-Projekt“. Hier ging es darum, eine richtige Theatergeschichte aus dem Figurengefüge heraus zu erzählen, Darsteller zu führen und alles glaubhaft auf einen Punkt zu bringen. Missgunst ist freilich kein gutes Argument, wenn es um die Gemeinsamkeit eines Projektes geht. Die charmante Regisseuse (20) begründete ja ihre Entscheidung, die Figuren dreifach zu besetzen, mit dem Satz: „damit jeder einmal spielen kann und in der Gruppe kein Neid aufkommt“. Leider kam das weder dem Spielfluss noch der Anlage ihrer handelnden Figuren zugute, man sah drei verschiedene Geschichten anstelle einer durchgestalteten. Wirklich schade. Wie die Gruppe von der gleichnamigen HOT-Inszenierung, so ließ sich auch Robin von Defoes Roman „Robinson Crusoe“ inspirieren. Alles spielt sich in seinem Innerem ab. Mitten in der Pubertät, will er plötzlich Seefahrer werden und richtige Abenteuer erleben. Vernunft-Argumente der alleinerziehenden Mutter treffen auf seinen Starrsinn. Als Vertrauten hat er sich einen Freitag erdacht, welcher zwar auch von verschiedenen Darstellern gegeben wird, aber Substanz von Substanz und zudem eine ganz und gar poetische Figur ist. Dieser Bub geistert in Seefahrerkluft durch Robins Raum, schaukelt in der Hängematte und kriecht in den Schrank, wo die Motten wohnen. Er rät dem Freunde zu oder ab, gibt „mottige“ Lebensregeln, deren dritte er leider vergaß. Die Mutter indes bucht dem gärigen Bengel zuliebe eine mediterrane Kreuzfahrt, doch Fehlanzeige, sie ist demselben nicht abenteuerlich genug. Für Janine Schäferhoff war dieses Projekt nicht nur ein „ganz persönlicher Flugversuch“, sondern auch ihre Abschlussarbeit als Praktikantin am HOT. Sie führte Felix Freese, Kathrin Henschen, Tino Hillebrand, Olivia-Patrizia Kunze, Christina Petschke, Franziska Tietz und Jördis Volkmann mit mehr oder weniger Geschick durch die etwas unklare Handlung, darunter ein schön inszenierter Traum. Doch hätte man sich manche Situationen begründeter und das Spiel flüssiger gewünscht, vor allem Robins Mutter-Beziehung im ersten Bild. Mithin einen „Helden“, dessen Hin- und Herschwanken zwischen gebrüteten und tauben Träumen zur treibenden Idee geworden wäre. Am Schluss geht es plötzlich nicht mehr um die Seefahrt, sondern ums Fliegen, ein unverhoffter Nieser bringt alles auf den unklaren Punkt: „Genieß“ deine drei Tage“, sagt Freitag kryptisch zu Robin, das ist „für die Motten sehr viel“. Was meinte er nur? Gerold Paul
Gerold Paul
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