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Kultur: Fontanes Next Topmodel

Premiere von „Effi Briest“ in der Dramatisierung von Petra Luisa Meyer am Hans Otto Theater

Stand:

Warum muss ein Sockel der Kultur wie Theodor Fontanes berühmtester Roman „Effi Briest“ unbedingt auf die Bühne gebracht werden? Ist aus dem Stoff über das „vergnügungsüchtige und ehrgeizige“ Mädchen – wie ihre Mutter sie bei Fontane charakterisiert –, das einen älteren Mann heiratet, der ihre Untreue nicht hinnehmen kann und den Kontrahenten im Duell erschießt, noch Gegenwärtiges heraus zu kitzeln? Ein Zeitbezug vielleicht, der auch jenseits Fontanes sprachlicher Brillanz ins Herz der Zuschauer geht?

Ein Monument bleibt nur erhalten, wenn es regelmäßig inspiziert wird. Gegen die geballten kollektive Besserwissereien all jener eine Interpretation zu wagen, die „ihren Fontane“ ja ach so lieben, ist demnach keine Anbiederei, sondern eigentlich schon wieder eine Provokation.

Die Entschlackung beginnt damit, dass die Bühnenfassung der Regisseurin Petra Luisa Meyer die bürgerliche Geschichte auf durchgespielte neunzig Minuten eindampft. Die Szenerie (Bühnenbild Matthias Schaller) besteht aus einem langen Laufsteg und zwei zueinander versetzten großen Toren, eins weiß, eins schwarz. Relativ sinnoffene Symbolik, die für allerlei steht. Für das an Toren reiche Berlin, für Gut und Böse oder auch den Übergang von Schuld und Sühne.

Die Figuren stolzieren auf dem weißen Catwalk, der bis tief in die hinteren Reihen reicht. Wie Modells auf einer Coutureshow. Charaktere und Haltungen werden getragen wie die üppigen, extravaganten Gewänder (Kostüme Jessica Karge). Die jungen Frauen in Blümchenseide überm Tütü, die Männer in einem Stil-Mix zwischen Texas und Biedermeier. Die Damen balancieren dabei auf hohen durchgehenden Absätzen. Damit ist der Sturz gewiss. Und so wird es kommen.

„Ich bin die Effi!“, plärrt die Siebzehnjährige noch trotzig in direkter Publikumsansprache, posiert und setzt ihr Schlösschen, das sie sich von einer Heirat erträumt, in Form eines Modells von Sanssouci auf dem Boden ab. Jana Klinge ist diese wunderschöne, blonde Göre, deren Zerbrechlichkeit unter ihrer schleierdünnen Haut bereits hervorschimmert. Vater Briest wird durch Roland Kuchenbuch auf einen dem Rotwein zugeneigten Zyniker verkürzt, dessen Reden sich grundsätzlich in der berühmten Bemerkung verlieren, das sei ein „weites Feld“. Die Mutter, Sabine Scholze, bleibt im Ganzen zugeknöpft und lässt sich nie ganz hinter die Fassade schauen. Und Philipp Mauritz als Baron von Instetten und Bräutigam zieht den Mundwinkel vor Arroganz und Kälte stetig nach unten. Ein fieser Karrierist und nicht, wie bei Fontane, ein etwas steifer, aber insgesamt doch fürsorglicher Ehemann. Dem schnurgeraden Defilee der sich einzeln vorstellenden Figuren auf dem Laufsteg entspricht die Art, wie die Erzählung „in Gang“ kommt. Einzeln in je von einem herzschlagtreibenden Rockrhythmus voneinander getrennten statischen Bildern werden die Stationen der Handlung aufgereiht. Kein Spiel, sondern in großen Stücken Erzähltheater, bei dem Interaktion zwischen den Figuren kaum stattfindet. Eine verhärtete, vereiste, unbewegliche Standes-Gesellschaft.

Bis Major von Crampas die Rampe erstürmt, keck Wasser ins Publikum prustet und dafür gleich ein anerkennendes Johlen aus den Rängen erntet. Mit Moritz Führmann kommt Temperament ins Spiel und gleich auch eine komplexere Charakterpsychologie. Sein Crampas ist schlagfertig und hintersinnig, leidenschaftlich und doch grundtraurig. Als ahne er seinen Tod voraus, kostet er das Leben in vollen Zügen. Klinges Effi lässt sich davon anstecken. In ihren gemeinsamen Szenen finden sich die besten Regieeinfälle. Das heftige pseudo-koitale Gestöhne während der kompromittierenden Kutschfahrt wirkt als ironische Kommentierung der sich mit wenigen, prüden Andeutungen begnügenden literarischen Vorlage.

Diese „Effi Briest“ wandelt sich zögerlich von einer analytischen Bildersprache und Erzählweise in ein eruptives Gefühlsspiel. Von außen geht es sozusagen nach innen. Bei Effi, Crampas und Instetten gelingt der Inszenierung die Durchdringung bis zum Kern. Die anderen Figuren (Gisela Leipert als düstere Roswitha, Franziska Zehe als blasse Hulda oder die HOT-Legende Günter Rüger als Wüllersdorf) bleiben nur hübsche Hüllen. So wie die geschliffene Ästhetik: Die Kostüme, der wunderbare, weißer Vorhang im Wind, der silbrig glänzender Schneefall.

Und das Gegenwärtige dabei? Die alte Geschichte der ungestümen Liebe, die an ihre gesellschaftlichen Grenzen stößt. Und Fontanes wundervolle Sprache natürlich, der man nicht genug Sockel errichten kann.

Matthias Hassenpflug

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