Von Peter Buske: Fragen über Fragen
Freitag feiert „The Fall of the House of Usher“ Premiere bei der Potsdamer Winteroper – Nur vier Aufführungen wird es geben Der Regisseur und Bühnenbildner Achim Freyer ließ sich auf einer Probe in seine Inszenierungskarten blicken
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„Hier finde ich mich nicht zurecht“ teilt die Übertitelungsanlage am oberen Bühnenportal mit. Sicherlich eher Zufall als Absicht, als Achim Freyer unter solcher Verkündigung die Schlussszene aus Philip Glass’ Oper „The Fall of the House of Usher“ (Der Untergang des Hauses Usher) auf der Bühne des Schlosstheaters im Neuen Palais probiert. Die Szene ist in fast totale Finsternis gehüllt und schwarz ausgehängt. Sehr asketisch. Der Grund? Während der Probenarbeiten gab es eine Fülle von Gastspielangeboten und da muss man eben sehr reiseflexibel sein, sozusagen die Dekoration im Köfferchen mit sich führen. Vier auf dem Boden liegende Leuchtstoffröhren strahlen nach vorn und blenden das im Zuschauerraum sitzende Regieteam. Den pantomimisch agierenden Mitgliedern seines Freyer Ensembles erläutert der Meister unterdessen die irgendwie unbegreifliche Ausgangslage: „Jemand, nämlich Madeline, ist im Sarg begraben und plötzlich wieder unter den Lebenden“. Punktum.
Eine surrealistische Situation, die der Komponist Philip Glass nach der Novellen-Vorlage von Edgar Allen Poe in Noten gesetzt hat. Wie das spielen, dazu noch glaubhaft? Er selbst habe im Moment noch keine Idee, was Freyer seinen Akteuren auch unumwunden mitteilt. Also ist gemeinsames Suchen angesagt: „Du erfindest aus dieser Sachlage heraus eine Geschichte!“ Nichts leichter als das. Oder doch nicht? „Wie komme ich aus dem Normalzustand auf den Spielzustand?“, fragt ein Akteur. „Hilft ein Stroboskop, die Unwirklichkeit des Vorgangs zu verdeutlichen?“, sinniert Achim Freyer. Der Sinnsucher könnte sich auch flackerndes Licht aus diesen langen Neonröhren vorstellen. Flugs wird der Computer des Beleuchtungsmeisters gefüttert. Die Wirkungen werden wieder und wieder ausprobiert.
Auch lautloses Rennen nebst Zusammenprall der Personage, wenn der Sarg, in seinen Umrissen aus vier Lichtstäben gebildet, auseinander birst. Die einzelnen Stäbe wollen Schwert, Schild, Feueratem eines Drachen und Dirigierstab imaginieren. Sollen sie ruckartig bewegt werden oder gleitend, mit knappen oder langen Gesten? Langsam fügt sich zusammen, was zusammengehören soll. Ehe das Ergebnis alle wieder vergessen, wird es per Durchlauf rekapituliert. „Auftritt mit Ziffer 4“, lautet die Anweisung der Regieassistentin. Doch wie die Stelle im monotonen Musikverlauf wieder entdecken? Irgendwie gelingt es. Pause für die Pantomimentruppe. „Viertel vor zwei kommen die Sänger dazu.“ Bis dahin lässt sich der Regisseur ausfragen.
Beispielsweise darüber, ob es schwierig ist, aus der sogenannten „minimal music“ von Glass sich Szeneneinfälle zu gewinnen. „Sehr sogar“, meint der Stückbefrager Freyer, denn Glass wolle nur „Stimmungen schaffen, die einer bestimmten Grundsituation entsprechen. „Es gibt keine dramaturgisch komponierte Musik, die irgendeinen Gefühlszustand oder eine Spannung in einer Figur betont oder schildert.“ Als Maler habe er, so Freyer, die Hoffnung gehabt, dass er mit der „Usher“-Musik endlich „einmal Malerei auf der Bühne machen“ könne, vor allem aber Bilder erfinden. „Nun finden Sie sich mal zurecht zwischen Gesangsstellen und ausufernden Zwischenspielen, die nicht unbedingt einen stückdienlichen Sinn ergeben.“ Was ihn dennoch an dem Stück reize? „Die Schwierigkeit seiner Umsetzung, weil sie einem auch die Freiheit für Entdeckungen gibt!“ Und so hinterfragt er jede Situation, jedes Detail aufs Genaueste: „Wie kann ich mit meinen Szenenangeboten den Zuschauer aktiv beschäftigen, sodass er sich nicht von der Bühne herab bedienen lässt, sondern mitdenkt, mitentscheidet, gleichsam mitspielt.“
Er muss ebenso beurteilen, ob die Geschichte von Edgar Allen Poe eine Horrorgeschichte, ein klanggewordener klinischer Befund oder eine Inzesttragödie zwischen Zwillingen ist. Er sieht es ganz anders. „Schwester und Bruder sind für mich eine Person – wie ein Künstler, der alle Künste in sich vereint. Es wird davon gesprochen, dass Roderick Usher Gitarre spielt, malt, Philosoph ist, Texte schreibt.“ Was er aus dieser Vielseitigkeit erschaffe, sei mehr oder weniger eine Art Selbstbildnis. Und so schafft er diese Madeline – als seine zweite Hälfte, als eine imaginäre Partnerin. Zielstrebig fragt sich Freyer in das Stück hinein, erblickt in ihm ein Künstlerdrama. „Ist es Roderick gar selbst, der diese ganze Welt für sich als Gebilde im Kopf hat, darunter leidet und sich mit ihr auseinandersetzt?!“ Glass lasse so vieles unbeantwortet, leidet Freyer. Weshalb dann nicht auf Poe zurückgreifen? „Ich inszeniere Glass nicht Edgar Allen Poe, kann nicht ergänzen, was der Komponist nicht geschrieben und zugelassen hat.“ Außerdem würde diese „wunderbare Dichtung sofort Einfluss auf meine Inszenierung haben“. „Ich hab’s mit minimal music zu tun, einer neuen Entdeckung von Wiederholung und von einfachen Teilen, die Bausteine werden für die Zukunft. Meine Aufgabe ist es, mit minimalen Mitteln eine Geschichte erzählen und der Musik dienen“.
Ende der Pause. Inzwischen sind die Sänger eingetrudelt. Da capo al fine. Denn bis zur Premiere sind es nur noch ein paar Tage.
Die Premiere von „The Fall of the House of Usher“ am Freitag, 6. November, im Schlosstheater ist bereits ausverkauft. Weitere Termine am 7. November, 20 Uhr, 8. und 15. November, jeweils 18 Uhr. Karten unter Tel: (0331) 98 1 18
Peter Buske
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