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Kultur: Frappant und feinsinnig
Diogenes Quartett in der Villa Schöningen
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Klarinettisten kennen ihn allemal: Heinrich Joseph Baermann, gebürtiger Potsdamer und Bläservirtuose, der manch einen Komponisten zu herrlichen Werken angeregt hat. Er selbst komponierte auch, darunter ein Adagio, das lange Zeit unter dem Namen von Richard Wagner publiziert und dementsprechend gut verkauft wurde. Ohne Umschweife eröffnet der Klarinettist Clemens Trautmann am Samstagabend mit diesem ausgesprochen romantischen Stück die musikalische Soiree in der Villa Schöningen, die diesmal nicht im Garten, sondern im gut gefüllten Saal stattfindet.
Durch die geöffneten Fenster streicht laue Sommerluft herein und vermischt sich mit den gut gelaunten Klängen der Klarinette und der Streichinstrumente des Diogenes Quartetts. Die jungen Musiker aus München – Stefan Kirpal, Violine, Gundula Kirpal, Violine, Alba González i Becerra, Viola, und Stephen Ristau, Cello – bestreiten den zweiten Programmpunkt mit Joseph Haydns Streichquartett op. 77, 1 allein. In diesem Werk zeigt sich der Spätstil des Wiener Klassikers in kondensierter Form, vom biedermännisch schunkelnden Marsch zu Beginn über ein ernsthaftes Adagio, gefolgt von einem robusten Menuett inklusive frappantem Trio nach Art von Beethoven bis hin zu einem ausgesprochen rabautzigen Presto-Finale. Häufig erklimmen die Violinen, einzeln oder zu zweit, gleißende Höhen, während das Cello die dunklen Register auslotet. Dass ausgerechnet das Adagio weniger innerlich denn vordergründig wirkt und Haydn als gewieften Routinier erscheinen lässt, ist vielleicht nur der hellen, sommerlichen Stimmung geschuldet.
Überhaupt betont das energisch pointierte Spiel des Diogenes-Quartetts Haydns Vorliebe für dramatische Kontraste, überfallartige Momente und metrisch-rhythmische Experimente, die schließlich so stark auf den jungen Beethoven gewirkt haben. Zwar hielt Johannes Brahms sein Oeuvre für abgeschlossen, doch ein Klarinettist namens Richard Mühlfeld inspirierte ihn noch einmal aufs Neue. Sein Klarinettenquintett op. 115 erweist sich am Samstag als ambitioniertes, großflächiges und facettenreiches Werk voll wehmütiger, mal aufbegehrender, mal magischer Klänge. Mal wird die Klarinette verhüllt vom zauberhaften Gewebe der Töne, mal steht sie im lebendigen Dialog mit der ersten Violine, dann wieder leuchtet ihre wandelbare, ausdrucksvolle Stimme solistisch hervor. Erneut erweist sich Clemens Trautmann, ein studierter Klarinettist, der als Jurist tätig ist, als feinsinniger Musiker. Mit dem Larghetto aus Wolfgang Amadeus Mozarts Klarinettenquintett erklingt noch ein Spätwerk und zugleich eine melodienseelige, viel applaudierte Zugabe. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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