Kultur: Frauen sind nur liebe Rohre
Die Erlebnisgeiger in der Villa Kellermann
Stand:
Es war in der Tat ein Erlebnis, die Erlebnisgeiger am Sonntagabend in der Villa Kellermann nicht nur geigen, sondern auch singen, krächzen, jubeln und dialogisieren zu hören. Johannes Grützke, der bekannte Maler, der schon mit seiner „Schule der Neuen Prächtigkeit“ im künstlerischen Gefilde für Aufruhr sorgte, hat 1965 die „Erlebnisgeiger“ ins Leben gerufen.
Seit also vierzig Jahren konzertieren die ursprünglich vier, inzwischen nur noch drei Musiker in „öffentlichen Proben“, denn sie treffen sich selten und üben einfach nicht. Doch die Art, wie sie ihre Absprachen während des Konzertes treffen, ein scheinbar nachlässig getuscheltes „Was machen wir jetzt“ oder „Wo ist jetzt der Schluss hingekommen?“, „Ah, hier ist er“ und das ständige Händeschütteln nach der jeweiligen Darbietung, das hatte die Souveränität der Professionalität und den Charme unprätentiöser Beiläufigkeit. Zwar hatten Johannes Grützke, der, ganz in Weiß gekleidet, die Geige spielte und, wenn ihm danach war, auf ein an seinen Notenständer aufgehängtes Becken eindrosch, Tilmann Lehnert, der meist am Piano saß, das „h“ anschlug und die wunderbar dynamische Madalena de Faria den Beginn falsch eingeschätzt.
Sie ließen das freundliche Publikum eine halbe Stunde warten, aber ihre Besonderheit zu erleben, sollte sich gelohnt haben. Denn was die drei überaus lebendigen Musiker boten, war alle offenen Ohren und Augen wert. Eigenwillig schon die begrüßende Mitteilung, dass der vierte Musiker vor einem Jahr gestorben sei und man sich aussuchen könne, wer als nächster dran sei. So herrlich irre, sich selbst, die Musik, den Text veralbernde Konzerte fand man wohl nur zu Zeiten des Dadaismus, und manchmal ist ein Rückgriff auf Kunsttraditionen vergangener Epochen besser als nach vorne stürmende Avant-Garde-Versuche.
Kakophonisch war es zeitweise, das Piano wurde von Lehnert, dessen Texte die Sängerin mal sehr hoch, manchmal ganz tief und immer sehr abwechslungsreich präsentierte, ganz schön malträtiert und die Geige durfte schnelle, kunstvoll falsch gesetzte Töne produzieren. Sinn zu suchen, war ein schwieriges Unterfangen, da wurde vom Wald gesungen, dessen Vokal fast unendlich in die Länge gezogen wurde und man dabei an das Moos dachte, das die Baumstämme zur Osterzeit besonders gerne umgibt.Da eruptierte aus der zarten Kehle der Portugiesin auch schon mal das Worte „Aktenstöße“ in allen möglichen Koloraturfacetten. Besonders unsinnig heiter wurde es aber, wenn die beiden Männer ihre dialogischen Streitgespräche ganz ohne Musik darboten und sich in mäandernden Satzfetzen in absurde Höhen steigerten. „Ich bin müde geworden“, klagte Tilmann Lehnert seufzend, Johannes Grützke wollte es nicht glauben: „Was, du?“ sagte er immer wieder, und Lehnert steigerte seine Lebensträgheit bis hin zum „ja, ich bin so herb, so unwahrscheinlich müd und mürb geworden“. Das hatte Klasse und sogar Tiefe, denn all die Lebenssorgen wurden angesprochen, diskutiert, gesungen, gekreischt.
Natürlich fand auch die Liebe ihren Platz und kulminierte in dem eigenwillig, von Madalena de Faria sehr lustvoll deklamierten „Frauen sind nur liebe Rohre, die im Winter wanken“. Da zitterten selbst die Rosenblätter auf den weißen Tischdecken vor übermütiger Spiellaune, aus den Kehlen der Zuhörer drangen immer wieder kleine Heiterkeitsjuchzer und der kleine gelbe Sichelmond lächelte still über dem Heiligen See
Lore Bardens.
Lore Bardens.
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