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Kultur: Frei nach Schnabel

Großer Spaß: Das Hans Otto Theater spielt bis Weihnachten „Das Märchen vom Kalifen Storch“

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Das Schöne am Kindertheater ist, dass sich Kinder nicht für die Etikette im Theater interessieren. Sie scheren sich nicht darum, wer da Publikum und wer Darsteller ist. Sie wollen Teil der Geschichte sein und mit den Leuten auf der Bühne interagieren. Das neue Kindertheaterstück „Das Märchen vom Kalifen Storch“, das gestern im Hans Otto Theater Premiere feierte, erregt die Gemüter der kleinen Gäste so sehr, dass Erzieherinnen und Schauspieler mit Zeigefinger und „Schhh!“ auf den Lippen oftmals für Beruhigung sorgen müssen. Wer kann denn auch ahnen, dass die Kinder einen so ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit mitbringen? Sie wollen den Kalifen vor seiner eigenen Dummheit bewahren und den bösen Zauberer stürzen – oft ist die Politik doch einfacher als man meint, wenn ihr nicht der Narzissmus der Herrschenden im Wege stünde.

Und tatsächlich ist der Kalif von Bagdad, der in der Geschichte vom Saulus zum Paulus erwächst, ein selbstbezogener Dummkopf. Sogar im Schlaf schmachtet er sich selber an. „O là là, was bin ich für ein schöner Mann“, murmelt er verträumt, „der schönste Mann der Welt!“ Kein Wunder, dass seine erste Dienerin Suleika ihm den eitlen Schädel wieder geraderücken muss und ihn wegen seiner Unfähigkeit, zu regieren, schilt. Dass sein Volk hungert und unter Armut leidet, kann er gar nicht verstehen. Er mag es am liebsten „lustig, interessant und spannend.“

Das Märchen als Lehrstück nimmt den despotischen Egoismus auf den Arm. So verkündet der Kalif seinem Großwesir nach dem ausgiebigen Frühstück, dass er nun gerne ein Viertelstündchen regieren würde. Als der Großwesir – ein verkrampfter, ängstlicher Mann, den Suleika gern zum Gatten hätte – seinen Meister vorsichtig fragt, ob er denn nichts von den Leiden der Leute wisse, antwortet der völlig verständnislos: „Selbstverständlich weiß ich alles. Nur interessiert mich nicht alles.“ Dennoch ist der Kalif kein Tyrann, sein Herz sitzt am rechten Fleck. „Er war faul und gleichgültig. Aber schlecht war er nicht“, stellt Suleika später fest, als ihr Herr und ihr Geliebter verschwunden sind.

Denn weil der Kalif notorisch nach Unterhaltung giert, fällt er auf eine List des wahren Bösewichts, des Zauberers Kaschnur, herein. Ein Pulver soll ihn und seinen Wesir in Störche verwandeln, nur dürfen sie in dieser Gestalt nicht lachen, sonst werden sie das nötige Zauberwort vergessen, um wieder zu Menschen zu werden. Die Begegnung mit den anderen Störchen im königlichen Garten öffnet dem Kalifen die Augen ob seines unrechten Regiments. Denn wo seine Bediensteten – mit Ausnahme der resoluten Suleika – schweigen, nimmt einer der echten Störche kein Blatt vor den Schnabel. Lauthals demonstrieren er und seine Artgenossen mit Pappschildern gegen die mangelnden Zustände im königlichen Garten: „Frösche für alle!“ und „Kalif, mach'n Abflug!“, verlangen sie.

Eine großartige Szene, in der Regisseurin Kerstin Kusch andeutet, wie Unzufriedenheit zum Ausschluss von Fremden führen kann. Denn erst wollen die Störche die zwei Neuen gar nicht in den Teich lassen. „Es gibt nicht genug Frösche. Hier ist kein Platz für euch!“, rufen sie und wundern sich darüber, dass die Fremden nichts von den Sitten ihrer Spezies wissen. So etwa, dass man bei einer Hochzeit für das Brautpaar einen Tanz aufführt. Der Tanz der Störche ist so lustig, dass Kalif und Großwesir sogleich einem Lachanfall erliegen und nun in ihrem Gefieder feststecken. Mithilfe einer Schleiereule, die sich als verzauberte Prinzessin von Indien herausstellt, können sie sich jedoch zurück verwandeln und den bösen Zauberer stürzen, der während seiner kurzen Herrschaft schon vom Volk verhasst ist.

Vom klassischen Märchen kann hier keine Rede sein, auch wenn natürlich am Ende geheiratet werden muss und die Prinzessin wieder in alter Schönheit erstrahlt. Hier geben vor allem starke Frauen den Ton an, die den unbeholfenen Herren der Schöpfung aus der Patsche helfen.

Besonders einfallsreich ist neben den schillernden Kostümen vor allem das Bühnenbild von Nikolaus Frinke, das mithilfe einer stimmungsgebenden Hintergrundbeleuchtung das Geschehen auf der Bühne in zweidimensionale Scherenschnitte verwandelt. Für die Kinder gibt es immer etwas zu gucken, da langweilt sich keiner. Das geheimnisvolle Morgenland erstrahlt in seiner ganzen Pracht, auch mit orientalischer Musik, Gesang und im Tanz.

Dem kleinen Publikum – das es zur Premiere übrigens geschafft hat, das Hans Otto Theater voll zu besetzen – scheint es jedenfalls zu gefallen: Als die Liebenden sich am Ende endlich kriegen, johlt, jubelt und pfeift es laut vor Begeisterung. Theresa Dagge

„Das Märchen vom Kalifen Storch“ ist im Hans Otto Theater bis Weihnachten an allen Wochentagen jeweils um zehn Uhr zu sehen.

Theresa Dagge

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