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Kultur: Freigeister

HOT-Jugendclub erzählt über Schein und Sein

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Sie studieren BWL oder Jura, gehen für ein Jahr in ein Schwellenland, um dort ein Freiwilligenjahr zu absolvieren oder sie machen einfach Party. Sie haben Träume, Sorgen und Ängste, die sie unterdrücken. Oder auch nicht. So wie die Kritzelfrau in „Freigeister“, dem Stück des HOT Jugendclubs, das am vergangenen Wochenende in der Reithalle seine Premiere hatte. Sie hat sich in ihre eigene Welt zurückgezogen, ihre Flügel ausgebreitet, abseits von allem und doch erfüllt. Sie sitzt am Bühnenrand und hat ihre eigene Form des Selbstausdrucks, das Zeichnen, für sich entdeckt. Ihr ist egal, was die Anderen von ihr halten, die sich da in dieser Bahnhofsszenerie zusammengefunden haben, gemeinsam auf den nächsten Zug warten und ihr ab und an neugierig oder befremdet über die Schulter schauen.

Das Stück, entwickelt von der gerade mal 23-jährigen Sabrina Waldenheim, die am Hans Otto Theater ihr Anerkennungsjahr in der Theaterpädagogik absolviert, reflektiert die zentralen Fragen der Teens und Twens, die sich um Schein und Sein, den tagtäglichen Trott und um die Frage nach verrückt oder normal drehen.

Da ist Valerie, die ihren Eltern zuliebe BWL studiert, um sich eine gesicherte Zukunft zu ermöglichen. Und die eigentlich davon träumt, zu schauspielern. Oder Josi, die sich so ein Jahr in Afrika, ohne allen Komfort, einfach nicht vorstellen kann, die das Leben leicht nimmt und gerade unterwegs zum Shoppen ist. Die kleine Sequenz ihres Innenlebens allerdings zeigt eine ganz andere Josi, völlig überlastet vom zerrütteten Elternhaus und dem Unfalltod ihres Bruders.

Während dieser einen Stunde auf dem hervorragend in Szene gesetzten Bahnhof trifft, klanglich untermalt und von literarischen Zitaten begleitet, soziales Engagement auf Stigmatisierung, scheinbare Offenheit auf Oberflächlichkeit.

Mia, seit ein paar Stunden aus Afrika zurück, reflektiert, vielleicht ein wenig zu schnell, die unterschiedlichen Kulturen und verkörpert Toleranz und Interesse. Hendrik, der eine körperliche Behinderung hat, fühlt sich von allen angestarrt und bemitleidet, stigmatisiert aber selbst, indem er der Kritzelfrau mit Vorurteilen gegenübertritt.

Und Sam, die sich locker und offen gibt, die ihrem Freund Hendrik mit dem flapsigen Ton einer besten Freundin begegnet und fasziniert ist von dieser Frau, die so schöne Zeichnungen schafft, scheint nur oberflächlich tiefgründig. Glaubt man ihrem Freund, dann ist sie kein wirklich guter Gesprächspartner, weil sie sich lieber verschließt als tatsächlich öffnet.

Eigentlich eine spannende Konstellation, eine interessante, dynamische Szenerie mit wichtigen Gedankenspielen und talentierten Jungschauspieler. Trotz allem aber ein wenig plakativ und nicht genügend ausgespielt. Man wünscht der angehenden Theaterpädagogin etwas mehr Mut für kommende Inszenierungen, mehr Bildhaftigkeit und die Ausdauer, Gedanken auch wirklich bis zu Ende zu gehen. Was ist denn nun das Spannende am Schauspielern? Und wo bleibt die Dramatik, wenn man eine Fassade nicht länger aufrechterhalten kann, da das Unglück dahinter immer größer wird.

„Freigeister“ ist vielleicht der Anfang eines freien Geistes, der sich gerade erst entdeckt. Andrea Schneider

Die nächste Premiere des HOT-Jugendclubs am 3. Juni mit „Grenzgänger“

Andrea Schneider

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