Kultur: Fremde Äste eines gemeinsamen Baums
Volker Koepps „Söhne“ im Thalia
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So etwas denkt sich kein Mensch aus: Der Vater im Krieg, die Mutter mit vier kleinen Buben bleibt in West-Preußen zurück. Als die Front näher kommt, beschließt sie um Weihnachten 1944, zwei ihrer Söhne vor der Roten Armee im deutschen Südwesten in Sicherheit zu bringen. Mit allen, so glaubt sie, schafft sie es nicht. Schon im Sommer 1945 kehrte sie mit schlechtem Gewissen über die „grüne Grenze“ zur Danziger Bucht zurück, erkennt einen Sohn, welcher der ihre nicht ist – erst viel später erfährt sie, wo sich ihr echter Rainer befindet. Der letzte, von einer polnischen Mutter aufgenommen, ist längst in Warschau zu Hause. So hatte sie am Ende fünf Kinder, von denen drei in Deutschland leben, zwei aber jenseits der Oder. Von diesem deutsch-polnischen Quintett erzählt Volker Koepps neuester Dokumentarfilm „Söhne“, dessen Potsdam-Premiere vor immerhin mehr als dreißig Besuchern im Thalia stattfand.
Heimat ist sein tragendes Thema, so man mit ihr eine Familie verliert oder gewinnt, Identifikation und Mütterlichkeit, denn zwei zurückzulassen, um zwei zu retten, hat viel damit zu tun. Koepp („Herr Zwilling und Frau Zuckermann“, „Kurische Nehrung“) lässt diese gestandenen Männer, die erst im reifen Alter wieder zueinander fanden, über einhundertzehn Minuten selbst und ausführlich zu Wort kommen, mal einzeln, mal in der Gruppe, was wenig einträglich ist. Manchmal fragt er auch zaghaft nach, wie es denn war, als die in Polen verhaftete Mutter so lange wegblieb, wie der „falsche Rainer“ in die deutsche Familie hineinfand, ob sich der Warschauer Sohn noch als Deutscher fühle – hier zieht sich die innerfamiliäre Turbulenz bis ins dritte Glied. Auch die Töchter sind halb so und halb so.
Fünf kehren in Anwesenheit des Filmemachers gemeinsam in die alte Heimat zurück, zum Gut, ans Grab des Großvaters. Dort steht ein alter Maronenbaum. Fünf können ihn gerade umspannen. Wäre ich damals ertrunken, so witzelt einer von ihnen, hättet ihr es wohl nicht geschafft. Ein Gleichnis. Für den ältesten, Klaus, der immer auch Wortführer ist, war dieses erste gemeinsame Treffen vor Ort „schmerzlich“, während der zweite hier am liebsten begraben sein will. Erinnerungen holt ein alter Nachbar zurück, Erinnerungen auch an den Bodensee, wo Klaus und Wolf in enger Gemeinschaft aufwuchsen, bevor sie brüderlichen „Zuwachs“ bekamen, was angeblich „kein Problem“ gewesen sein soll. Man habe sich zusammengefunden, bestätigen alle, aber glaubt man ihnen das? Die inszenierten Gruppenbilder wirken recht starr. Die beiden Ältesten halten sich zusammen, die beiden Polnischen auch. Stets etwas abseits der falsche Rainer, er behauptet mit spürbarer Unsicherheit, seine Heimat sei immer dort, „wo der Ofen raucht“. Auch der Mutter wird in warmen Worten gedacht. So stapfen sie durch Süddeutschland, so findet man sie an der Kurischen Nehrung, in Celbau – immer noch auf der Suche nach ihren Wurzeln, der Heimat. „Der Krieg hat alles zerstört.“
Leicht kommt man an diesen schön-bunten Film von 2007 nicht heran. Er ist etwas unübersichtlich erzählt und recht lang. „Söhne“ wirkt wie der Rohstoff zu einem anderen Streifen mit dem Opferthema antiker Dimension. Vielleicht fragte Koepp absichtlich nicht nach, wenn Verlegenheit oder zu schnelle Antwort kam.
Er nennt nicht die Berufe von Klaus, Wolf, Rainer, Stanislaw und Jerzy. Brüder dem Blut nach, doch auch Brüder der Herzen? Manchmal wirken sie eher wie Freunde, wie fremde Äste eines gemeinsamen Baumes. Gerold Paul
Gerold Paul
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