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Kultur: Frisch und tanzbar

Ein Jahr „JazzLab“ in der „fabrik“

Stand:

Jazz ist so etwas wie die Musik der Upper Class und die Konzerte ein Sehen und Gesehenwerden, ein Stelldichein der Intellektuellen und Wohlhabenden, die mit einem wohltemperierten Glas Rotwein in der rechten Hand Entspannung in dahinplätschernder Musik suchen, während auf dem ganzen Spektakel eine angestaubte Atmosphäre lastet.

Die gute Nachricht: Nichts davon ist wahr. Wer das „Jazz Lab“, das es nun schon ein Jahr gibt, am vergangenen Freitag in der „fabrik“ in der Schiffbauergasse besuchte, der konnte feststellen, dass das Publikum überhaupt nicht diesen Klischees entsprach. Vielmehr war der Abend ein Sit-in kreativer junger Menschen, das weit entfernt vom langweiligen Geplänkel war, sondern eher eine funkige Energie hatte, die Jugendlichkeit versprühte.

Auf der Bühne des „Jazz Lab“ gab es auch gleich wieder alte Bekannte zu sehen, schließlich ist die Potsdamer Jazz-Szene gut vernetzt – aber dass die Veranstaltungsreihe nur einen Tag nach dem Jazz-Abend im Kulturhaus Babelsberg stattfand, war wohl eher zufällig. Dennoch war das Programm anders als in Babelsberg: viel frischer, tanzbarer und auch weit entfernt vom antiken Flair des altehrwürdigen Babelsberger Kulturhauses, in dem das Publikum an Sitzplätze gefesselt wurde. In der „fabrik“ wurde auf dem Boden gesessen oder locker herumgestanden, die Gäste waren in Bewegung und konnten keine Wurzeln schlagen.

Neben dem Potsdamer Jazz-Wirbelwind Max Punstein am Schlagzeug spielten Stefan Fröhlich am Bass und Oliver Fröhlich an der Gitarre: Das Trio hatte bereits die an das Konzert angeschlossene Jamsession am Vorabend gespielt. Aber es gab auch hochwertige Verstärkung: Roland Menthel spielte ein beeindruckendes Saxophon, die absolute Veredelung gab es aber von Nicolas Schulze an der Fender Rhodes – eine Elektroorgel, die mit ihrem Sound keine Ergänzung, sondern eine Bereicherung war und zwischendurch auch mal vierhändig gespielt wurde.

Musikalisch gab es ganz viel Funk und eher kräftige als leise Töne. Und dass Jazz nicht erst seit Helge Schneider eine durchaus komödiantische Komponente hat, die gern rausgekitzelt wird, war dem Quintett durchaus bewusst – wer erwartet auch schon bleischwere Ernsthaftigkeit? Hier wurde nicht nach interferenzfreiem Perfektionismus geschielt, sondern munter drauflosgespielt – zum Beispiel mit dem Gastsänger Toni Blitzeroni, dessen Version von „No more Blues“, einem Bossa-Nova-Swing Klassiker mit dem ursprünglichen Namen „Chega de Saudade“, in einem warmen Brasilianisch vorgetragen wurde: eine phonetisch viel schönere Varietät als das schnöde iberische Portugiesisch.

Nun ist Jazz ja so oft totgesagt worden, nur um umso kraftvoller zurückzukommen, in immer neuen Facetten. Dass das auch in unserer Stadt passiert, ist selbstverständlich eine Bereicherung. Und dass Potsdam nicht nur mit klassischem Jazz aufwartet, sondern diese Musik auch in den zahlreichen Krautrock-Projekten der Stadt fester Bestandteil ist, ist fast ein wenig beruhigend. Die Schnittstellen werden auch noch spannender in naher Zukunft: Für eine der nächsten Zusammenkünfte plant Max Punstein eine Fusion von Jazz und Punk, wie er verriet. Wir sind gespannt. Oliver Dietrich

Oliver Dietrich

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