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Kultur: Frischer geht nicht

Jazz mit Moses Vester im Foyer des Nikolaisaals

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Es hat etwas Verwirrendes, wenn ein 14-Jähriger auf einer Bühne steht und einen Vortrag über die Geschichte des Jazz hält – beginnend in einer Zeit, die beinahe ein ganzes Säkulum her ist, in Moses Vesters Augen aber immer noch Feuer zaubert. Das Durchleuchten der Geschichte des Jazz wirkte dabei wie ein gut gemachter Schülervortrag, mit witzigen Anekdoten gewürzt; doch sobald sich der Jazzpianist an den Flügel setzt, bekommt er eine derart ausgereift-erwachsene Erscheinung, dass man die Luft anhalten mag.

Vester ging streng chronologisch vor und wählte als Einstieg einen Jazz-Klassiker schlechthin, George Gershwins „Summertime“, dem Sängerin Ronja Wolf trotz ihres Teenageralters eine beeindruckende Stimme verlieh. Der Pianist musste sich nicht in den Vordergrund spielen, und Heinrich Eißmann am Schlagzeug mochte kaum älter als Moses Vester sein, agierte hinter seinem Instrument aber mit einer so stoisch-konzentrierten Gelassenheit, dass man in ihm bereits jetzt den typischen Jazz-Schlagzeuger erkennen konnte. Zwischen dem erfrischend aufspielenden Nachwuchs wirkte Kontrabassist Robin Draganic in der Mitte der Bühne zwar zuweilen etwas oberlehrerhaft, verstand es aber hervorragend, das Bindeglied zwischen Schlagzeug und Klavier zu geben. George MacLean verstärkte das Trio bei Bedarf als Saxophonist, ebenfalls ein alter Hase – und doch war es erstaunlich, wie viel Seele dieser signifikante Altersunterschied in diesen Jazzabend legte.

So näherte man sich über Swing und Bebop immer näher der Gegenwart, Herbie Hancocks „Watermelon Man“ durfte da ebenso wenig fehlen wie Billy Strayhorns „Take the ‚A’ Train“. Wenn man Moses Vester im Vorfeld aus der Perspektive des Welpenschutzes wahrnahm, fühlte man sich schnell eines Besseren belehrt: Er spielte derart selbstbewusst auf, dass man sofort merkte, wie sehr er sich im Jazz zu Hause fühlt. Er ließ die Profis sich an ihren Instrumenten austoben, übernahm aber gern auch den einen oder anderen Solopart. Es sind vereinzelt nur ganz kurze Momente, in denen er ein wenig verunsichert wirkt, aber sofort kippt diese Verunsicherung in ein halbstarkes Grinsen, während er weiter in die Tasten haut. Das war schon verdammt professionell.

Aber Vester legt noch einen drauf: Beschränkte er sich bis zur Pause auf die Interpretation der Klassiker, kam man flugs in der Gegenwart an. Mit Henri Mancinis „Pink Panther“ und Dave Brubecks „Take Five“ wurden noch zwei Klassiker als Warm-up geboten, doch kurz darauf spielte Vester eine Eigenkomposition, die er dem Modern Jazz zuordnete. „Modern Jazz ist eine Stilrichtung, mit der ich mich schon länger beschäftige“, erzählt Vester und der Saal lacht. Die schwierige Phase der Pubertät lasse sich eben mit Modern Jazz am besten bekämpfen, sagt er ungerührt – was für eine herrliche Selbstironie, was für ein gelungenes Entertainment! Und Vester ging noch weiter, verschmolz die Gegenwart mit der Zukunft, indem er mit einem DJ arbeitete, ein sehr improvisationslastiges Set, das ein wenig an Nightmares on Wax erinnerte, und schließlich den gut gelaunten Francisco Camufingo als Rapper auf die Bühne bat. Was für ein Abend, und was für eine Überzeugung, dass Jazz niemals tot sein kann: Wenn Vester jetzt schon so viel Talent mit Enthusiasmus verbindet, wünscht man sich von ihm nichts Weniger als die musikalische Revolution.

Oliver Dietrich

Oliver Dietrich

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