Kultur: Frivol und lehrreich
Offenbachs „Cananova“ in Beelitz zu Gast
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Auf dem Anwesen des Grafen von Waldstein war für den alternden Lebemann Casanova alles ganz anders. Niemand ehrte ihn auf Schloss Dux, die Domestiken gaben seinen Speisen Purgiermittel bei, schlimmer noch, man glaubte ihm weder, in St. Petersburg oder London gewesen zu sein noch mit den Herrschern Europas verkehrt zu haben. Der Playboy haderte fortan unausstehlich mit seiner Umgebung, mit dem Alter, mit sich selbst, und schrieb im Norden Böhmens um 1790 exzessiv an den weltberühmten Memoiren. Knapp 200 Jahre später verfasste Karl Gassauer „Casanovas letzte Liebe“ für das Ostfernsehen, eine herrlich-fiktive Geschichte zwischen dem Weitgereisten und einer Bediensteten niederen Standes, der katholischen Wäscheschließerin Sophie Krumbeigel, was allerdings mit dem Exitus des herkulischen Helden und gräflichen Bibliothekars auf tragikomische Weise endet. Nun gastierte die „Musikalische Komödie Berlin“ mit einer auf Jacques Offenbach gesetzten Fassung in Beelitzens Tiedemann-Saal. Hans Dieter Arnold glich dessen Lied-Texte heutigen Erfordernissen an, Werner Schieke spielte sie am Klavier, am elegischen Kontrabass Walter Klier. Regisseur Horst Ruprecht fand in Maria Mallé (Sophie) und Heinz Behrens als Protagonist zwei vorzügliche Darsteller, welche vielleicht etwas mehr von ihrer Ausstrahlung lebten, denn von der szenischen Einrichtung auf Gerd Neuberts Ausstattungsbühne. Sieben Stühle, ein Rundspiegel, Tisch und weitere Versatzstücke, einige menschengroße Puppen weiblichen Geschlechts in venezianischer Kostümierung, dazu eine junge, tänzelnde Dame für den Umbau oder das Hereinreichen der Post.
Aus mütterlichen Erwägungen nimmt Sophie sich des südlichen Gramfriedes an, erleidet dabei manche Kränkung, ist die zunehmend interessierte Hörerin neuer Manuskriptseiten. Ganz leise funkt es zwischen den ungleichen Alten, so sehr, dass die Beschließerin in Beelitz sogar ihre plebejische Art vergisst und zur Grand Dame wird. Alles ist Gefühl, Psychologie, Magnetismus, das Publikum erfreute sich auf zwei gute Stunden an Blicken und Gesten zur Beförderung des längst erkannten Endzweckes, in Casanovas Jargon „Liebesopfer“ genannt: Dem Barockmenschen ist das Leben ein Traum, die Welt eine Bühne.
Nachdem nun derselbe erfuhr, dass ihm ein Domestik aus Eifersucht eins auf sein Perücken-Haupt gegeben, stand einer intimen Begegnung „zu Tische“ nichts mehr im Wege. Der Meister („Sophie, du hast mich wieder glücklich gemacht!“) schrieb das Tete a tete sogar schon vorab nieder, doch ach, das Herz gab auf, so sank er auf besagtem Tableau dahin. Sophie wird nicht einmal erfahren, wie alles hätte kommen können, sie war ja Analphabetin. Zwei tragische Figuren in Hochform: Casanova wusste seine Barockwelt versunken, ihr aber blieb, nach jener einzigen Jugendliebe mit einem Preußen im Kriege, auch diesmal alles Glück der Welt versagt. Es hat nicht sollen sein.
Zährend-schöne Cello-Klänge à la Offenbach führten das Publikum finaliter in die Nacht von Beelitz zurück. Ein guter Abend – still und sehr menschlich, etwas frivol, dazu höchst lehrreich: Dass sich im Leben irgendwann alles genau ins Gegenteil kehrt, wird jeder einmal erfahren, nicht nur „Casanova auf Schloss Dux“.
Gerold Paul
Gerold Paul
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