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Kultur: Frühes Licht, späte Schatten

Das Leben der Marie Goslich – eine Biografie

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Einer hat sein Leben gelebt, Erinnerung und Zeugnisse hinterlassen, ein zweiter wusste davon, der erzählt“s einem Dritten - ein Roman wird daraus, und schon ist es fast wie am Anfang. So geht es oft im intellektuellen Leben zu. Marie Goslich (1859-1936) war die erste: Tochter eines Appellationsgerichtsrates aus Berlin, Erzieherin am königlich-preußischen Hofe mit Liebe zur Malerei und Fotografie, dann – immer mehr von der Emanzipation angesteckt und unglücklich verheiratet – wurde sie Chefredakteurin einer christlichen Hausfrauenzeitschrift in Potsdam.

Später leitete sie die von ihr begründete, erste gärtnerische Genossenschaft in Geltow. Bevor sie sich 1912 endgültig (und allein) dort niederließ, wohnte sie gelegentlich unter dem Dache der Gastwirtsfamilie Herrmann in Baumgartenbrück, dessen „seltene Schönheit“ auch ihr Zeitgenosse Fontane lobte. Sie durchstreifte die Gegend rund um den Schwielowsee, lichtete Landschaft und Menschen ab, erstklassige Zeitzeugnisse heute.

Viele dieser Fotos bildeten am Samstag den Hintergrund für eine so heitere wie passgerechte Buchpräsentation des Märkischen Verlages Wilhelmshorst am selben Ort. Wie Albrecht Herrmann durch seinen Vater von Marie erfuhr, so erfuhr die Autorin Tessy Bortfeldt – als Dritte – wiederum von ihm über sie. Mehr als zehn Jahre aufwändiger Recherchen brauchte es, bevor die buch- wie kunstinteressierte Schauspielerin, einst mit ihrem Mann Kurt in den Osten übergesiedelt, das umfangreiche Manuskript abschloss. Mit warmherzigen Empfehlungen des Professors Wolfgang Hempel gelangte es endlich in die Hand von Verlags-Chef Klaus-Peter Anders. Ein langer Weg mit vielen Namen – er freute sich, dass nun „ein schönes dickes Buch“ daraus geworden ist.

„Frühes Licht und späte Schatten“ kommt gerade noch rechtzeitig in den Buchhandel, um allen, die „preußische Biographien“, inspirierende Beschreibungen von Berlin, Potsdam und dessen Umland lieben – oder emanzipierte Frauenliteratur zu lesen begehren, eine festtägliche Freude zu bereiten. Freilich schafft man 900 Seiten nicht von heute auf morgen, und so führte die Autorin das zahlreich erschienene Publikum – viele Berliner, wenige aus Geltow – mit einer längeren Lesung schon mal in ihren „biographischen Roman“ ein. Schauplätze und fast alle Namen sind authentisch, manche Gelegenheit nur ausgedacht, gewiss auch viele Gedanken. So weiß man nicht genau, wo Marie Goslich „aufhört“ und Tessy Bortfeldt „anfängt“. Vielleicht bei der Abneigung gegen Preußisch-Militantes, vielleicht dort, wo die Autorin mit Laura Marholm und Georg Lucacs über Frauenrecht oder gesellschaftliches Engagement sinnierte. Ihr emanzipatorischer Zuschlag ist jedenfalls deutlich.

Für die Niederschrift, oftmals von den alten Fotos inspiriert, brachte die 1925 geborene Literatin ihre lange Berufserfahrung bei Funk und Fernsehen/Ost ein. Der Dickleiber, mit viel Herz verfasst, kann mit einer gewissen Heiterkeit gelesen werden, wie sie es am Samstag auch tat. Einige Fotos von Marie Goslich sind im Buche abgedruckt. Man hörte, dass es Geltowern womöglich gefallen könnte, ihre Großeltern dergestalt wieder zu entdecken. Die Originalplatten, bei Herrmanns im alten Zollbrückenhause verwahrt, haben den engagierten Verlagsleiter offenbar so beeindruckt, dass er sie als Extra-Band in seiner Märkischen Reihe herausbringen will. Maries Leben endete tragisch: In seniler Verwirrung brachte man sie 1936 nach Neuruppin, wo sich ihre Spur in einem „Zentrum der Euthanasie“ verlor. Doch bekanntlich lebt, wes Namen man ruft, und dies nun haben mehr als Dreie getan. Gerold Paul

Tessy Bortfeldt: „Frühes Licht und späte Schatten – Das Leben der Marie Goslich“, Märkischer Verlag Wilhelmshorst.

Gerold Paul

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