Die Frühlingsausstellung in der Galerie Sehmsdorf: Für den Gott der kleinen Dinge
Die Frau ist sehr klein. Ihr Blick wirkt melancholisch, von der Welt abgerückt.
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Die Frau ist sehr klein. Ihr Blick wirkt melancholisch, von der Welt abgerückt. Viel Leid hat sie erfahren und sich doch immer wieder aufgerichtet, schließlich blieb ihr das, was nur sie auf der ganzen Welt hatte: das Lied und die Gabe, mit ihrem Gesang die Welt zu verzaubern. „La vie en rose“, der Chanson von Edith Piaf, schwingt mit bei der Betrachtung der Holzskulptur der Französin von Peer Oliver Nau in der Galerie Kunst-Kontor Sehmsdorf. Mit 1,47 Metern ebenso klein wie die großartige Sängerin, in rohes Holz geschnitzt, wirkt es, als habe der Bildhauer seinem Material das Leben eingehaucht, von dem auch der Dichter Josef Eichendorff in seinem Gedicht „Wünschelrute“ erzählt.
„Schläft ein Lied in allen Dingen “ hat Friedericke Sehmsdorf die Frühlingsausstellung im Kunst-Kontor nach dem Gedicht genannt. Dem spüren auch die Künstler in der Galerie nach, auf ganz unterschiedlichen Wegen. Dass sich Schönheit auch in simplen Dingen äußern kann, zeigt Bettina Moras mit einer Apfelkiepe, Avocadostücken, einer Knoblauchknolle. Mit kräftigem Strich pastos gemalt, wirken die Dinge dennoch ganz lebendig, als wären sie unmittelbar greifbar. Aber Moras kann auch anders. Auf einem großen Ölbild porträtiert sich die Künstlerin selber, im Schneidersitz, mit einem Säugling im Strampelanzug auf den Knien. Die Pose erinnert an Mariendarstellungen. Sehr ungewöhnlich ist der Gesichtsausdruck der sich selbst porträtierenden Künstlerin. Dem Bild geht jede Verklärung ab, die sich auf Heiligenbildern und auch in weich gewaschenen Werbevideos findet. Dafür spricht es den Betrachter mit einer Unmittelbarkeit an, die Kunst selten erreicht. Moras geht es offensichtlich nicht um die verklärende Poesie der Dinge, sondern um etwas, was sich in der Romantik schon einmal mit der Kunst verbunden hat, aber mittlerweile ziemlich aus dem Blick geraten ist: die Wahrheit. Die Erkenntnis von der Wirklichkeit, vermittelt durch die Anschauung der Menschen und Dinge. Moras widmet ihre Arbeit dem unmittelbaren, kleinteiligen Alltag. Gewissermaßen dem „Gott der kleinen Dinge“.
Nicht alle Werke der Ausstellung sind derart schwergewichtig. Schließlich geht es um den Frühling. Also finden sich auch bunt leuchtende Blumenbilder von Uwe Reher und kleine bronzene Figurinen von Susanne Kraißer, während bei Caroline von Bodecker die Romantik gleich mit einer Collage Einzug hält, auf der sich ein Portrait des Malers Philipp Otto Runge findet. Richard Rabensaat
Die Ausstellung „Schläft ein Lied in allen Dingen“ läuft noch bis zum 26. Juni in der Galerie Kunst-Kontor, Bertiniweg 1A.
Richard Rabensaat
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