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Von Daniel Flügel: Für Eingeweihte

Matinee mit Fritz J. Raddatz in der Villa Quandt

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Es erinnerte ein klein wenig an einen Gottesdienst, wie die zahlreich Versammelten, in einer feierlich stillen Atmosphäre, andächtig, teils mit genussvoll geschlossenen Augen der ruhigen Stimme eines weißhaarigen Vorlesers lauschten. Der bekannte Publizist Fritz Joachim Raddatz las am Sonntagvormittag im Kaminsaal der Villa Quandt vor gut 80 Gästen aus seinem im letzten Jahr erschienen Buch „Rilke. Überzähliges Dasein“. Ein biografischer Essay, der Entlarvung und Loblied ist, eine stilistisch großartig vollbrachte Liebeserklärung an Rainer Maria Rilkes Dichtung.

Um ein neues Licht auf Rilkes Werk zu werfen, begibt sich Raddatz auf Fährtensuche, fragt mehrmals in den Raum, wer dieser Mensch Rilke gewesen ist und kommt zu dem Schluss: ein „Geck, Gaukler und Genie“. Wie Einige vor ihm, hat also auch Raddatz das biografische Material durchforstet und dabei nach Ereignissen im Leben Rilkes gesucht, die dieses oder jenes Dichtwerk von ihm entscheidend beeinflusst haben. Das Höchstwahrscheinliche als feste Größe, mehr als ein Vorschlag? Doch versucht Raddatz ja diese altbackene Lesart vom Klischee des „unverständlich sich verpuppenden Weihepriesters“ reinzuhalten und der üblichen Verklärung erfrischend sprachmächtig aus dem Weg zu gehen.

Klar und sauber und doch bildhaft schön, bisweilen hymnengleich klingen daher seine Forschungsergebnisse. Recht still nur und wenig betont, werden sie vorgelesen und eher zurückhaltend, anhand der entsprechenden Rilke-Lyrik, wie auf Beweismaterial gestützt. Ohne spontane oder belebende Anmerkungen vertraut der Vorleser allein seinem starken Textgebilde. Große Aspekte schälen sich dabei heraus und werden benannt. Rilkes Gottesbegriff etwa, der nicht auf das Jenseits bezogen und für Rilke diesseitige Sehnsuchtsmetapher gewesen ist. Oder Rilkes Unnahbarkeit, seine intime Scheu, die Angst geliebt zu werden, die ihren Ursprung bereits in Rilkes Mädchen-Erziehung hat und in die von Raddatz betitelte „Eigenweiblichkeit“ führen sollte.

Ein Sonderling also bleibt Rilke auch für Raddatz, aber kein welt- und lebensfremder, im Gegenteil. Rilke habe es geschickt verstanden, sich einen Kreis von reichen Gönnerinnen zu züchten und so ein recht beachtliches Schmarotzertum zu kultivieren, wie Raddatz auf eine Nachfrage des Moderators Hendrik Röder erzählt. Doch galt auch hier Rilkes Distanzgebot. Diesen Damen überreichte er seine Verse nur wie Konfekt, ohne Hingabe. Wo die Überlieferungen fehlen, bleiben die Mutmaßungen. Weshalb Rilke seinen Sekretärsposten beim Bildhauer Auguste Rodin so abrupt verlor, kann Raddatz denn auch kaum hinreichend beantworten. Hingegen sicher ist er sich, dass es keinen, und sei es noch so bildungsfernen Menschen geben könne, den Rilkes Dichtung nicht berührt, womit dessen Genie begründet sei.

Fritz J. Raddatz, der vor diesem auflockernden Zwiegespräch mit dem Moderator, aus seinem Buch, mehr im Sinne eines groben biografischen Abrisses, übergangslos und beinahe unkommentiert, eine Passage nach der anderen gelesen hat, werden nach knapp anderthalb Stunden, aus dem Publikum keine weiteren Fragen mehr gestellt. Stattdessen beglückte Gesichter und herzlicher Applaus allenthalben. Und fast scheint es, als habe Raddatz mit seiner Lesung mehr einen Nachschlag für Eingeweihte denn eine Lockspeise für Neugierige servieren wollen.

Daniel Flügel

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