Kultur: Für schlechten Geschmack nicht zuständig
Gelage unter einem Bild von Peter Herrmann in der Villa Kellermann
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Am Karfreitag spielte sich ein an Absurdität kaum zu überbietendes Schauspiel ab. Hat man schon je die Gelegenheit gehabt, Menschen beim Male zu zusehen? Eigentlich ein Tabu. Die Gruppe rüstiger Berliner Künstler um den Galeristen Manfred Giesler und sein Projekt „Narrenschiff“ luden in die Villa Kellermann ein. Ein „Symposion für Sokrates“ klingt nach Antike, Würde und Hochkultur. Ein Gelage unter einem Bild wurde zudem vom Gastronomen Maximilian Dreier in Aussicht gestellt. Eine etwas ausgewetzte Schelmigkeit wollte also ein wenig Provokation an Karfreitag. Der Tabubruch lag allerdings nicht so sehr im Gewollten, sondern eher im Nicht-Gekonnten.
Das Bild, unter dem die kulinarischen und schöngeistigen Versprechungen eingelöst werden sollten, hatte Peter Herrmann gemalt. Ein aus vier Teilen bestehendes Opus, auf dem Menschen bei Tisch sitzen. Herren in Smoking mit gezogenen Gabeln, geschminkte Damen in Charleston-Kleidern. Ein Hummer liegt neben einem Schweinskopf, ein räudiger Hund wartet tischseits, während Frankenstein Fisch serviert. Sokrates“ Büste steht über allem. Nicht unbedingt ein Meisterwerk, über das man lange sokratische Dialoge führen könnte. Das war den Machern jedoch nicht gegeben. Philosophie Fehlanzeige.
Die Gäste kamen. Zu viele, um an der üppig eingedeckten Tafel Platz zu finden. Mehr als die Vorbestellungen wurden anscheinend nicht erwartet. Die, die kamen, Freunde der teilnehmenden Künstler und Leute, die auf Ankündigungen mit Neugierde reagierten, schauten konsterniert auf das folgende Spektakel. So wurde diese Hälfte so gesetzt, dass sie der anderen beim Gelage zuschauen konnte. Hier die Weinflaschen, das Brot, die Osternester aus Artischockenherzen mit eingesetztem hartem Ei, dort am Rand die Zuschauer an leeren Tischen. Oder, wie es der Kellermann-Wirt beschrieb, „hier die Tafel, dort kann à la carte bestellt werden“. Vielen war dieser Anblick unangenehm.
Die wirklich schwache Dramaturgie des Abends war vorher nicht bekannt gegeben worden. Zunächst trug Galerist Giesler eine selbstverfasste Hommage an den Dichter Robert Gernhard vor. Dass Gott in dem epigonalen Reimchen, u.a. als haarloser Trinker nicht gut wegkam, konnte vergeben werden. Denn für schlechten Geschmack ist keine höhere Instanz zuständig. Das galt auch für die restlichen „sokratischen Beiträge“.
Andere selbsternannte Dichter, Tillmann Lehnert und Johannes Grützke, mussten ihre Portionen Fisch-Ravioli schnell verputzen, denn es galt, die Lücke zu füllen, die der berühmte Theatermann Achim Freyer mit seiner unangekündigten Abwesenheit in das Programm geschlagen hatte. Anzunehmen, dass einige der Anwesenden sich gerade auf ihn gefreut hatten. So blinzelten Grützke und Lehnert mit schlechten Augen auf ihre Lesevorlage und dichteten, warum sie nach dem 50. Lebensjahr keine weißen Hosen mehr tragen könnten. Der Grund dafür war eher unappetitlich. Kindisches Dadazeug mit einem Bart, so lang wie der von Abraham, der sich irgendwo tief in den Sechzigern verknotet hatte.
Sollte man sich nicht bemühen, die üblen Klischees, die man sich über die Berliner Vorstadt und ihre arroganten Bewohner erzählte, zu widerlegen? Hatte Giesler nicht mit seinem „Narrenschiff“ ein einmaliges Programm organisiert? Und nun dieser beispiellose Abend voller dumpfbrummender Dekadenz, Ungastlichkeit und Hybris. Ein Wirt, der sich hierbei anscheinend um sein eigenes Wohl mehr sorgte als um das seiner Gäste. Den Ehrengästen eilfertig Plätze freimacht, und jenen den Rücken zudreht, die von weit her vom Programm angelockt wurden. Ein Bild und sein Schöpfer, der nicht vorgestellt und nicht gewürdigt wurde.
Hoffentlich war es diesmal ein Ausrutscher in der sonst so auf Etikette bedachten noblen Vorstadt. Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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