Kultur: Furioses Feuer entfacht Leidenschaften Anna-Maria Helsing dirigiert Kammerakademie
Freundlich lächelnd, wallendes schwarzes Haar, die Arme verschränkt blickt sie vom Foto des Programmheftes. Auf den ersten Blick ein sympathischer, offenherziger, sehr fraulicher Typ, von dem fast etwas Mütterliches ausgeht.
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Freundlich lächelnd, wallendes schwarzes Haar, die Arme verschränkt blickt sie vom Foto des Programmheftes. Auf den ersten Blick ein sympathischer, offenherziger, sehr fraulicher Typ, von dem fast etwas Mütterliches ausgeht. Sie sei „ein neues großes Talent aus der einzigartigen finnischen Dirigentenschmiede“ verheißt die abgedruckte Vita der Anna-Maria Helsing, die am Samstag beim 2. Sinfoniekonzert des Nikolaisaals erstmals am Pult der Kammerakademie Potsdam steht. Als es soweit ist, stürmt eine burschikose Dirigentin, das Haar streng gescheitelt und zum Pferdeschwanz gebündelt, in totaler Männergewandung auf die Bühne. Durch dieses befremdlich wirkende Outfit, mit dem sie sich wohl der Taktschlägermachodomäne einfügen will, geht etwas Distanzgebietendes aus. Herb ist ihre Ausstrahlung, die sich unwillkürlich auch auf die Lesarten jener romantisch geprägten Werke überträgt, die den Abend bestimmen.
Mit ausladender Gestik deutet sie Jean Sibelius’ Streicher-Suite „Rakastava“, eine dreiteilige Erzählung von einem Rendezvous, das den Geliebten zur Geliebten in spätromantischer Natur führt und im Dämmerdunkel mit dem Lebewohl der beiden endet. Hell klingt das Orchester, dessen vibratoarmes Spiel für einen schlanken und transparenten Klang sorgt. Ihr zeichengeberisches Handwerk versteht Anna-Maria Helsing zweifellos, die in Zeitmaßen musizieren lässt, die dem Puls der Musik entsprechen. Leidenschaftsbewegte bis liebliche Klänge, leicht und locker artikuliert und präzise phrasiert, bestimmen die Geschichte von den Liebenden aus dem Norden. Besonders gelungen der zweite Satz, der tänzerisch beschwingt und kapriziös wie hingetupft vom „Weg der Geliebten“ erzählt. Um das Adieu im dritten Satz gebührend zu untermalen, grummeln Kesselpauken ihre mahnende Botschaft. Anstelle des erkrankten orchestereigenen Paukers Friedemann Werzlau übernimmt diese Aufgabe der Staatsorchester-Solist Matthias Buchheim genauso wie das erstmalige Anspielen der zwei neuen Kammerakademie-Barockpauken in einem kurzen Solo. Knackig, trocken, majestätisch bis martialisch klingen sie. Im nachfolgenden C-Dur-Klavierkonzert KV 467 von Wolfgang Amadeus Mozart kommen sie zu gebührender Wirkung.
Den Solopart spielt die Barenboim-Gattin Elena Bashkirowa: klar und kräftig im Anschlag, klangbrillant und voller virtuoser Attitüde. Der straffen, kurz phrasierten und uneleganten Deutungsart der Dirigentin folgt sie einvernehmlich. In den Ecksätzen eilt sie fingerflink und trillersicher, kurzum: ziemlich hemdsärmelig über die Tasten. Dann, im berühmten Andante-Satz mit seinem schwelgerisch ausmusizierten Thema, zeigt die Pianistin viel Tastengefühl, Sinn für Schattierungen, nuancierte Zwischentöne. Ein Singen auf der ganzen Linie. Dem Beifall dankt sie mit einer poetischen Schumann-Zugabe. Eine forsche Gangart à la Antonello Manacorda bevorzugt die Dirigentin auch für Felix Mendelssohn Bartholdys Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 11, die vor furiosem Feuer und Leidenschaft schier zu bersten scheint. Das von Sturm und Drang erfüllte Werk steht unter fast ständigem Fortehochdruck. Kaum ein Atemholen, kaum eine Ruhephase. Bis auf den Andante-Satz, den die Kammerakademisten, wie bereits zuvor bei den anderen Stücken gehört, in Ruhe, gefühlsinnig und voller Ausdrucksintensität auszudeuten verstehen. Der Jubel ist nahezu enthusiastisch. Peter Buske
Peter Buske
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