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Kultur: Galaktisch

Quadro Nuevo beim Potsdamer Jazzfestival

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Jene Superlative, die Ausnahmemusiker wie Quadro Nuevo zureichend beschreiben, müssen erst erfunden werden. Perfektion und Virtuosität bringen als Beschreibung nur ein Basisverständnis vom Können des Quartetts. Galaktisch, wäre womöglich ein angemessenes Wort für die Darbietung von Quadro Nuevo zum Auftakt des Potsdamer Jazzfestivals am Donnerstagabend im Waschhaus. Die Österreicher kochen auch nicht mit Wasser, nein, sie verschleudern mit unverschämter Leichtigkeit Champagner und beste Weine. Während ihrer halsbrecherischen, an Zirkusakrobatik erinnernden Soli hält das Publikum den Atem an. Hoffentlich fällt jetzt keiner raus, denkt man, sonst wird das lebensgefährlich. Und nach einigen Stücken, mit rasenden Unisono-Sololäufen und diversen Rhythmuswechseln, legt Saxophonist Mulo Francel sein Instrument zur Seite, nimmt sich gemütlich das Mikrofon und erklärt völlig in sich ruhend, als ob er sich gerade ein Frühstücksei gekocht hätte, dass die Formation ja jetzt vier Wochen nicht gespielt hätte. Heute seien sie deshalb besonders ausgeruht. Das hört man.

Später sagt er noch, dass das streng genommen kein Jazz sei, was sie da machen. Stimmt. Die Musiker entziehen sich allerdings jeglicher Genre-Kategorisierung. Tango, Schlager, mediterrane Romantik, orientalische Klänge und die Weltseele atmende Filmmusik gehören zu ihrem Repertoire. Dass die Musiker seit Jahren musikalisch den Globus bereisen, hat seine Spuren in der Musik hinterlassen. Die Geschichten, die sie von diesen Reisen erzählen, offenbaren eine weitere Qualität des Quartetts. Die vier Musiker haben die Gabe ihre Erinnerungen und Eindrücke von den individuell gelebten Momenten vor dem Publikum neu entstehen zu lassen. Eins dieser Stücke scheint fast eine halbe Ewigkeit zu gehen. Der Titel entstand als Filmmusik zu einem deutsch-türkischen Film in einer Stadt im Südosten der Türkei an der Grenze zu Syrien. Orientalische Klänge durchziehen den Raum.

Evelyn Huber spielt an diesem Abend als Gastmusikerin an der Harfe. Ihre musikalische Sensibilität und Hingabe faszinieren. Nicht nur bei diesem Stück. Vor dem inneren Auge der Zuhörer beginnen die Bilder zu entstehen. Landschaften sowie Menschen tauchen auf, der Phantasie wachsen Flügel und man fällt förmlich in diese rauschende Instrumentalpoesie. Es ist als erzählten sie in diesen 20 Minuten ein ganzes Leben. D.D. Kowka, eigentlich Kontrabassist der Band, zelebriert an den Percussions das Auf und Ab des Daseins. Dazu fiedelt das Akkordeon von Andreas Hinterseher seine quirligen Tongirlanden und Mulo Francel treibt sein Saxophon immer wieder zum Höhepunkt, ganz so als säße ihm der Tod im Nacken. Ein, im wahrsten Sinne, atemberaubendes Konzerterlebnis und würdiger Start in das diesjährige Potsdamer Jazzfestival. Philipp Kühl

Weitere Informationen zu den zahlreichen Konzerten bis einschließlich Sonntag unter www.potsdamer-jazzfestival.de

Philipp Kühl

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